Ukraine-Krise:Wie DDR-Haubitzen die Bundesregierung in Bedrängnis bringen

Ukraine-Krise: Auch die DDR verfügte über die 122-mm-Haubitze D-30 aus sowjetischer Produktion, hier bei einem russischen Manöver.

Auch die DDR verfügte über die 122-mm-Haubitze D-30 aus sowjetischer Produktion, hier bei einem russischen Manöver.

(Foto: Gavriil Grigorov/dpa)

Estland plant Ausrüstung sowjetischer Bauart in die Ukraine zu liefern. Das Problem: Die Waffen stammen aus NVA-Beständen - und deswegen hat Berlin ein Wörtchen mitzureden.

Von Matthias Kolb, Brüssel, Paul-Anton Krüger und Mike Szymanski, Berlin

Die Ukraine wisse, woher sie welche Waffen bekommen könne, sagte Außenminister Dmytro Kuleba beim Besuch von Bundesaußenministerin Annalena Baerbock vergangenen Montag. Das hörte sich noch so an, als könne Kiew ganz gut leben mit der Haltung der Ampelkoalition, keine letalen Waffen zu liefern. Doch der Ton hat sich deutlich gewandelt seither. Der Grund: neun mittelschwere Haubitzen des sowjetischen Typs D-30, Kaliber 122 Millimeter, Reichweite 15 Kilometer.

Diese Artilleriegeschütze wollte Estland der Ukraine überlassen. Allerdings hatte sie das baltische Land selbst aus Finnland erhalten. Dorthin wiederum waren die Haubitzen aus Deutschland gekommen, aus Beständen der Nationalen Volksarmee. Diese Lieferkette bringt Berlin wieder ins Spiel, genau genommen das Bundesverteidigungsministerium. Denn jeder Weitergabe an einen dritten Staat - in diesem Fall die Ukraine - müssen die Vorlieferanten zustimmen, also Finnland und Deutschland.

Helsinki will Berlin die Entscheidung nicht abnehmen

Helsinki hat offenbar nicht vor, Berlin diese Entscheidung abzunehmen. Es sei an jedem Land, eigenständig nach seinen Regularien über Waffenexporte zu entscheiden, sagte Außenminister Pekka Haavisto vor dem Treffen der EU-Ressortchefs am Montag in Brüssel. "Deutschland wird seine Entscheidung treffen, und wir schauen uns die Situation dann danach an." Zumindest hieß es, dass Baerbock am Rande des EU-Außenrates mit Haavisto sprechen werde, der wie sie zu den Grünen gehört.

Kiew indes hat den Ton drastisch verschärft. Die deutsche Haltung mit Blick auf die Weitergabe von defensiven Waffen durch Dritte sei "enttäuschend" und entspreche "nicht der gegenwärtigen Sicherheitslage", twitterte Kuleba am Wochenende. Er warf der Bundesregierung gar vor, den russischen Präsidenten Wladimir Putin dadurch zu neuen Angriffen auf sein Land "zu ermutigen".

Die Entscheidung in Berlin ist noch nicht getroffen. Die stellvertretende Regierungssprecherin Christiane Hoffmann stellte am Montag klar: "Die Bundesregierung hat ihre Haltung gegenüber Waffenlieferungen, der Lieferung vor allem von letalen Waffen in die Ukraine, nicht verändert." Entsprechende Genehmigungen würden nicht erteilt. Allerdings, sagt sie auch, gehe es "in diesem Fall nicht um deutsche Waffenlieferungen, sondern um Waffenlieferungen aus Estland" - das lässt Spielraum für Interpretationen.

Allerdings tut man sich in Berlin schwer mit Kulebas Charakterisierung eines Geschützes als defensive Waffe. Bei den von Deutschland und Frankreich vermittelten Minsker Vereinbarungen für eine Waffenruhe in der Ostukraine sei schwere Artillerie einer der zentralen Punkte - was schon zeige, wie sensibel das Thema ist. Defensivwaffen hat Deutschland auch in Krisengebiete schon geliefert - zuletzt Milan-Panzerabwehrraketen an die kurdischen Peschmerga im Nordirak zum Kampf gegen die Terrormiliz IS.

Inzwischen wächst auch innenpolitisch der Druck. Der CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen sagte der Süddeutschen Zeitung, er halte Waffenlieferungen an die Ukraine für "moralisch und politisch legitim", um ihre Selbstverteidigung zu unterstützen. Er halte es aber genauso für richtig, wenn die Bundesregierung weiter davon absehe. Es könne sinnvoll sein, dass Deutschland "besondere Gesprächsmöglichkeiten gegenüber Russland bewahrt, die andere so nicht haben und die im Falle von Waffenlieferungen an die Ukraine schwer beschädigt würden".

Manch einer in Berlin mutmaßt, dass es Kiew weniger um die alten Geschütze geht als darum, die immer noch relativ guten Beziehungen zwischen Berlin und Moskau abzukühlen. Die Haubitzen sind aus Röttgens Sicht allerdings anders gelagert. Estland sei zwar an eine Zustimmung Berlins gebunden. "Politisch ist das aber keine Frage, die in Deutschland zu entscheiden ist", sagt er. "Das Zustimmungserfordernis sollte darum aufgelöst werden, Deutschland sollte die Entscheidung Estlands respektieren."

Der verteidigungspolitische Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag, Florian Hahn, fordert, die Bundesregierung solle konkrete Anfragen der Ukraine "im Einzelfall ergebnisoffen prüfen". Panzerabwehrwaffen, Luftverteidigungssysteme oder Schiffe für den Küstenschutz hätten klaren Defensivcharakter, sagt der CSU-Politiker. Wenn Berlin die Lieferungen von alten DDR-Haubitzen verhindere, mute das an wie "ein Treppenwitz der Geschichte und lässt all unsere Verbündeten nur noch kopfschüttelnd zurück".

In der Koalition hatte sich die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, die FDP-Politikerin Marie-Agnes Strack- Zimmermann, zuvor schon bereit gezeigt, über Anfragen aus der Ukraine und die deutsche Haltung "nachzudenken". Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck hatte im Mai in der Ostukraine als Co-Vorsitzender der Grünen gesagt, man könne der Ukraine Defensivwaffen "kaum verwehren". Auffällig still verhalten sich die Außen- und Sicherheitspolitiker der Sozialdemokraten.

Die Bundeswehr schickt "Eurofighter" ans Schwarze Meer

Bei manchen ausländischen Verbündeten wachsen aber offenbar Zweifel an Deutschlands Verlässlichkeit, geschürt auch durch die Debatte um die umstrittene russische Pipeline Nord Stream 2 oder Forderungen, etwaige Sanktionen dürften der Wirtschaft hierzulande nicht schaden. Da kam die Nachricht gelegen, dass die Bundeswehr demnächst zur Stärkung der Nato-Präsenz an der Ostflanke beitragen wird.

Laut einem Sprecher des Verteidigungsministeriums wird die Luftwaffe - wie bereits im vergangenen Jahr - bei der Luftraumüberwachung im Süden der Ostflanke eingesetzt. Nach SZ-Informationen sollen im Februar insgesamt drei Eurofighter auf einen Militärstützpunkt in der Nähe der Stadt Constanţa am Schwarzen Meer in Rumänien verlegt werden. Partner bei der Mission ist in diesem Jahr Italien. Die Entsendung der Kampfjets allerdings ist keine Reaktion auf den russischen Truppenaufmarsch in der Region oder Teil der zusätzlich von der Nato in Aussicht gestellten Truppen, sondern eine lange geplante Routinemission.

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