Ukraine:USA wollen Ukraine Landminen liefern

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Schon jetzt setzt die Ukraine Landminen ein: Soldaten bei einem Einsatz Ende Oktober in der Region Donezk. (Foto: Ukrainisches Militär/picture alliance/AP)

Nach dem Einsatz weitreichender Raketen genehmigt Joe Biden nun offenbar auch die international geächteten Waffen. Die US-Botschaft in Kiew schließt nach Warnungen vor schweren Luftangriffen.

Von Sebastian Gierke, David Pfeifer, München/Bangkok

US-Präsident Joe Biden hat Medienberichten zufolge die Lieferung von Antipersonenminen an die Ukraine genehmigt. Die Entscheidung stellt eine weitere signifikante Änderung bei der Waffenhilfe für die Ukraine dar. Vor wenigen Tagen hatten die USA dem von Russland angegriffenen Land erlaubt, weitreichende US-Raketen auf Ziele in Russland abzufeuern. Antipersonenminen sind international geächtet. Einsatz, Lagerung, Herstellung und Weitergabe sind seit 1999 durch einen völkerrechtlichen Vertrag verboten, der von 164 Staaten ratifiziert wurde, nicht jedoch von Russland und den USA.

Der Einsatz von Antipersonenminen könne aus US-Sicht dazu beitragen, den russischen Vormarsch im Osten des Landes zu verlangsamen, berichtet die Nachrichtenagentur Reuters unter Berufung auf Beamte aus Washington, die anonym bleiben wollen. Joe Biden werde die Entscheidung am Donnerstag verkünden. Die USA erwarten den Berichten zufolge, dass die Ukraine die Antipersonenminen nur auf ihrem eigenen Territorium einsetzt und nicht auf dicht besiedeltem Gebiet. Das soll das ukrainische Militär zugesagt haben, schreibt die Washington Post

Aus Angst vor einem russischen Angriff schloss die US-Botschaft in Kiew

Vor allem Russland, aber auch die Ukraine nutzen Minen bereits in großer Zahl entlang der gesamten Front. Von den USA werden der Ukraine bisher Panzerabwehrminen zur Verfügung gestellt. Die modernen US-Antipersonenminen unterscheiden sich laut den Berichten von konventionellen Minen, da sie nur mit einer Batterie zünden. Ist diese leer, explodieren sie nicht mehr.

Die ukrainischen Streitkräfte befinden sich vor allem im Osten in einer schwierigen Lage. Seit Monaten rücken die russischen Truppen hier vor. Der Militär- und Ukraine-Experte Rob Lee bewertete die Kursänderung des US-Präsidenten auf der Plattform X: „Es würde mich nicht überraschen, wenn diese Entscheidung größere Auswirkungen auf dem Schlachtfeld hätte als die Änderung der Politik bei ATACMS-Schlägen auf russischem Gebiet.“

Am Dienstag hatte die Ukraine erstmals mit weitreichenden US-Raketen Ziele innerhalb Russlands angegriffen. Tags darauf folgte nach Informationen der Nachrichtenagentur Reuters ein erster Angriff mit britischen Marschflugkörpern vom Typ „Storm Shadow“ auf die russische Region Kursk. Aus Angst vor einem russischen Gegenangriff schlossen am Mittwoch die USA ihre Botschaft in Kiew, ebenso wie Italien und Griechenland. Man habe Informationen über einen möglicherweise erheblichen Luftangriff erhalten, hieß es in einer Mitteilung. Die Angestellten der Botschaft wurden angewiesen, zu Hause zu bleiben.

Kurze Zeit später erklärte die Ukraine, man sei Ziel eines „massiven informationspsychologischen Angriffs“ geworden. Russland habe die Attacke inszeniert, indem es über Messengerdienste und soziale Netzwerke eine Warnung vor groß angelegten Raketen- und Bombenangriffen auf ukrainische Städte am Mittwoch verbreitet habe, teilte der ukrainische Militärgeheimdienst mit. Die Botschaft sei gefälscht, sie enthalte für psychologische Einsätze Russlands typische Grammatikfehler.

Die Zahl der Landminen weltweit hatte zuletzt abgenommen

Es war Zufall, dass die Entscheidung des US-Präsidenten zur Lieferung von Minen bekannt wurde, als am Mittwoch in Bangkok der Bericht „Landmine Monitor“ des Netzwerks Internationale Kampagne für das Verbot von Landminen vorgestellt wurde. Die Entscheidung der USA traf dort auf Unverständnis. „Die Nachricht schockiert mich“, sagt Mark Hiznay von der Organisation Human Rights Watch.

Der Bericht nennt den Krieg Russlands gegen die Ukraine einen Wendepunkt. Seitdem verzeichnet man „den größten Einsatz von Antipersonenminen seit den 90er-Jahren“, erklärt Mark Hiznay. Das gesamte Ausmaß der Verminung sei schwer abzuschätzen, denn Russland gebe keine Auskünfte. „Wir wissen nur, dass sie flächendeckend Minen aus Drohnen abwerfen.“ Moskau wurde von der internationalen Gemeinschaft dafür bereits heftig kritisiert, „es nimmt aber eine immer negativere Haltung ein“, sagt Hiznay. Bei einer Resolution der Vereinten Nationen, die seit 1999 jedes Jahr den Einsatz dieses Kriegsmittels verurteilt und bei der sich höchstens mal einzelne Länder enthalten haben, „stimmte Russland im vergangenen Jahr zum ersten Mal dagegen“.

Vor Beginn des Ukrainekriegs waren laut „Landmine Monitor“ mehr Minen aus dem Boden geholt worden als neue ausgelegt. Der Weg dahin ist mühsam: Man rechnet hier in Quadratmetern, die befreit werden konnten. Die weltweiten Mittel für Aufklärung und Minensuche haben erstmals eine Milliarde US-Dollar übersprungen – vor allem durch die weltweite Unterstützung der Ukraine.

Noch immer stark von Minen betroffen ist Südostasien aus den Zeiten des Indochina- und des Vietnam-Kriegs. Bis heute sind Grenzgebiete unzugänglich, explodieren in Laos, Kambodscha und Vietnam Minen, die Zivilisten töten oder verstümmeln. Wieder verstärkt eingesetzt werden sie in Myanmar. Das Land, das seit der versuchten Machtübernahme des Militärs im Jahr 2021 in einem blutigen Bürgerkrieg versinkt, hatte im vergangenen Jahr mit 1003 Opfern die größte Zahl von Toten durch Minen zu beklagen. Nicht nur die Junta, auch die Rebellengruppen verminen Gebiete, aus denen sie sich zurückziehen müssen.

In Ländern wie Iran und Nordkorea werden Minen laut dem Report ebenfalls als Mittel zur Grenz- oder Gebietssicherung genutzt. Ebenso in Kolumbien, Indien, Pakistan, der Gaza-Region und der Sahelzone. Insgesamt gab es im Jahr 2023 weltweit 5757 Todesopfer durch Landminen. Die meisten von ihnen Zivilisten.

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