Doch auch vorgezogene Neuwahlen scheinen nicht mehr ausgeschlossen zu sein. Jedenfalls berichtet die Ukrainskaja Prawda, dass Europäer und Amerikaner, die maßgeblichen Einfluss auf die Regierungsarbeit in Kiew haben, sich langsam mit der Möglichkeit abfänden, weil die Desintegrationsprozesse in Kiew so unübersehbar seien.
Allerdings wären Neuwahlen aus zwei Gründen eine ziemliche Katastrophe: Eben weil es derzeit keine Mehrheit für die früher aus vier, seit der Februar-Krise nur noch aus zwei Koalitionsparteien bestehende Regierung gibt, wäre es fraglich, ob das Parlament rechtzeitig Reformen zustande bekäme, die echte demokratische Wahlen ermöglichen, den bisher praktizierten Stimmenkauf erschweren und den Einfluss einzelner Oligarchen minimieren würden.
Ein Parteienfinanzierungsgesetz ist zwar im Herbst beschlossen worden, aber es hapert, wie üblich, an der Umsetzung - wie auch in anderen Bereichen: So fordern Experten eine Beschränkung von Wahlwerbung, die von Oligarchen finanziert und in privaten Fernsehsendern ausgestrahlt wird, die Oligarchen gehören.
Angezeigt wären auch eine Änderung des Wahlrechts und eine Öffnung der Parteilisten. Aber just am Tag des gescheiterten Misstrauensvotums, am 16. Februar, hat das Parlament morgens noch schnell das genaue Gegenteil beschlossen: Künftig sollen Parteien Kandidaten, die vorher auf eine Parteiliste gewählt wurden, auch nach einer Wahl von ihren Listen streichen können - eine absurd undemokratische Regelung.
Der zweite Grund, warum Brüssel und Washington Neuwahlen bislang als das schlimmstmögliche Szenario werten, ist die Lage im Donbass und das drohende Scheitern des Minsk-Prozesses. Ungeachtet des formal vereinbarten Waffenstillstandes zwischen Separatisten und ukrainischer Armee haben sich die Kämpfe in den vergangenen Wochen intensiviert. Beide Kriegsparteien ignorieren praktisch alle Verabredungen. Und ob in diesem Jahr die geplanten Wahlen in den "Autonomen Volksrepubliken" stattfinden können, die im Minsk-Prozess nach der Verabschiedung des Dezentralisierungsgesetzes durch die Rada stattfinden sollen, steht in den Sternen.
Der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier zeigte sich nach dem letzten Treffen im Normandie-Format am vergangenen Mittwoch so frustriert wie lange nicht. "Ich befürchte, es wird nicht mit dem genügenden Ernst gesehen, wie die Lage in der Ostukraine wirklich ist und dass sie jederzeit wieder eskalieren kann", sagte Steinmeier. Es habe zu den offenen Fragen schon mehr als 30 Sitzungen auf Arbeitsebene gegeben - ohne Erfolg. Die Zeit für Lippenbekenntnisse sei vorbei.