Ukraine:Tag der Entscheidung

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Mithilfe eines Misstrauensvotums will die Opposition im Parlament heute Ministerpräsident Viktor Janukowitsch zum Rücktritt zwingen.

Die Regierung habe die Kontrolle über die politischen, wirtschaftlichen und finanziellen Vorgänge im Land verloren, sagte Oppositionsführer Viktor Juschtschenko vor Zehntausenden Anhängern in Kiew. Die Opposition verfügt gemeinsam mit Sozialisten und Kommunisten über eine Mehrheit im Parlament.

Sollte die Opposition mit ihrem Plan Erfolg haben, so wäre Janukowitsch, dem angeblichen Sieger der Präsidentenwahl, der Weg verbaut, möglicherweise unabhängig vom Wahlausgang in das höchste Staatsamt zu gelangen. Nach der ukrainischen Verfassung übernimmt der Regierungschef das Präsidentenamt auf Zeit, wenn der Amtsinhaber zurücktritt. In den vergangenen Tagen hatte es wiederholt Gerüchte gegeben, der derzeitige Präsident Leonid Kutschma sei wegen der andauernden Massenproteste amtsmüde.

Blockade beendet

Unterdessen wird eine Wiederholung der Präsidentenwahl immer wahrscheinlicher. "Wenn wir wirklich Frieden und Eintracht erhalten wollen und eine demokratische Gesellschaft aufbauen wollen, aber es gelingt uns nicht auf legale Weise, dann lasst uns neue Wahlen abhalten", sagte Kutschma nach Angaben der Nachrichtenagentur Interfax.

Inzwischen beendete die ukrainische Oppositionsbewegung ihre Blockade des Regierungssitzes in Kiew nach vier Tagen. Einer der Demonstranten sagte, Oppositionsführer Viktor Juschtschenko habe angeordnet, die Regierungsangestellten in das Gebäude durchzulassen. Die Gehälter und Renten müssten ausgezahlt werden. Tatsächlich betraten zahlreiche Beamte das Gebäude. Trotz der beendeten Blockade blieben weiterhin etwa 200 Demonstranten vor dem Regierungssitz postiert. Sie schlugen auf Blechdosen und skandierten den Namen des Oppositionsführers.

Das Parlament in der russischsprachigen Donezk-Region im Osten der Ukraine verschob unterdessen seine für Dienstag geplante Dringlichkeitssitzung, auf der über einen Volksentscheid über die Autonomie der Region debattiert werden sollte. Eine Sprecherin sagte, der Gouverneur des Donezk-Gebiets sei zu Gesprächen nach Kiew gereist.

Janukowitsch bittet EU um Hilfe

Angesichts der rechtlichen Schwierigkeiten, die umstrittene Präsidentenstichwahl vom 21. November zu wiederholen, riet Kutschma zu Pragmatismus. Der politische Kompromiss könnte in eine "Verfassungsvereinbarung, die vom Parlament verabschiedet wird", münden. Als andere Möglichkeit nannte Kutschma eine Neuauszählung der Wahl in den ostukrainischen Gebieten Donezk und Lugansk, wo nach Auffassung der Opposition besonders eklatant gefälscht worden war.

Janukowitsch bat die Niederlande als derzeitigen EU-Ratsvorsitzenden um Hilfe, die ukrainische Opposition zur Aufnahme "realer Verhandlungen" zu bewegen. Bislang hatte er ausländische Unterstützung nur bei Russland gesucht.

Das Oberste Gericht der Ukraine beriet am Montag über die Wahl, ohne ein Urteil zu fällen. Die Richter ließen sich ausführlich die Wahlbetrugsbeschwerden aus dem Lager von Juschtschenko vortragen. Bis zu einem Spruch könnten auf diese Weise mehrere Wochen vergehen, sagten Verfahrensbeteiligte. Als Zeichen einer neuen Offenheit wurde die Sitzung des Gerichts auf mehreren Fernsehkanälen live übertragen.

© sueddeutsche.de/dpa - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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