Energieversorgung:Plötzlich eine Insel

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Warum die Ukraine schnell ins europäische Stromnetz will.

Von Michael Bauchmüller

Die Burschtyn-Insel liegt nirgendwo im Meer, sie liegt mitten in Europa. Und seit voriger Woche mitten im Krieg. Entstanden ist diese Insel rund um das Kohlekraftwerk Burschtyn zu Zeiten des Warschauer Paktes - ein kleines Stück Ukraine, das nicht mit dem sowjetischen Stromnetz, sondern mit dem des Bruderstaates Ungarn verbunden war. Die Verbindung besteht bis heute. Und jetzt ist die kleine Insel das Modell für die ganze Ukraine: Sie will Teil des europäischen Stromnetzes werden, und das möglichst schnell. Wenn das bloß so einfach wäre.

Denn bei allem Streben nach Europa hing die Ukraine beim Strom doch immer an Russland. Das alte sowjetische Netz sorgte auch in Kiew dafür, dass die Lichter nicht flackerten. Wurde es mal eng, standen die Wolga-Kaskaden bereit: Staustufen entlang der Wolga, die schnell Strom einspeisen konnten. Seit voriger Woche ist das vorbei. Die Ukraine ist selbst zur Insel geworden - weder Teil des europäischen noch des russischen Netzes.

Zweimal täglich veröffentlicht Ukrenergo, der Netzbetreiber, ein Bulletin über die Situation. "Am siebten Tag des Krieges operiert das System vertrauenswürdig im autonomen Zustand", heißt es darin am Donnerstag. Es gebe genug Strom für alle. "Dass es so stabil ist, ist eigentlich ein Wunder", sagt Kostiantyn Krynytsky, Energieexperte der Umweltorganisation Ecoaction in Kiew. Nun sei es höchste Zeit, es mit dem kontinentaleuropäischen System zu koppeln.

Das ist leichter gesagt als getan. Zwar gibt es zwei Leitungen aus der Ukraine gen Westen - die Burschtyn-Leitung nach Ungarn und eine zweite nach Polen -, doch ein gemeinsames Stromnetz ist auch eine Schicksalsgemeinschaft. Läuft irgendwo was schief, kann das Folgen für das ganze System haben. "Nicht umsonst gibt es für die Sicherheit im europäischen Netz viele Tausend Seiten Regelwerk", sagt Christian von Hirschhausen, der sich an der Technischen Universität Berlin mit Energieinfrastrukturen befasst. Von der Umsetzung sei die Ukraine weit entfernt.

Doch der Krieg verschiebt die Prioritäten, auch hier. Vorigen Sonntag hat Ukrenergo einen Antrag auf eine "Not-Synchronisation" mit dem europäischen Stromnetz gestellt. Tags drauf kamen in Brüssel die Energieminister der EU zusammen, sie versprachen Hilfe. Entso-e, die Betreiberorganisation für das europäische Netz, solle das Thema "ohne Verzögerung" angehen. Zusammen mit der Ukraine will auch Moldawien notfallmäßig ins sichere Netz der Westeuropäer. Beide suchen schon länger den Anschluss nach Westen.

Man arbeite fieberhaft daran, heißt es bei Entso-e. Allerdings gebe es auch "eine Reihe technischer Fragen". Davon dürfte allein der Krieg einige aufwerfen: Was, wenn Leitungen ausfallen? Wenn Atomkraftwerke zu Zielscheiben werden? Sie liefern die Hälfte des ukrainischen Stroms. Sollte hier etwas passieren, hängt auch die Notkühlung in letzter Instanz am Stromnetz.

Rein technisch, sagt Energieexperte Hirschhausen, sei der Notanschluss zu stemmen, er würde das ukrainische Netz stabilisieren. "Aber man muss immer eine Hand am Schalter haben." Breche das Netz dort zusammen, müsse man die Ukraine rasch abnabeln: zurück auf die Insel.

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