Ukraine:Koalition der Unwilligen

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„Bereit und willens“: Großbritanniens Regierungschef Keir Starmer – hier bei einem Truppenbesuch – hat erkennen lassen, dass er bei einem Waffenstillstand Soldaten in die Ukraine schicken könnte. (Foto: KIRSTY WIGGLESWORTH/AFP)

Der britische Premier Keir Starmer ist bereit, Truppen zur Friedenssicherung in die Ukraine zu schicken. Viel Beifall findet die Idee bei seinen europäischen Verbündeten noch nicht.

Von Hubert Wetzel, Brüssel

Als der französische Präsident Emmanuel Macron vor gut einem Jahr laut darüber nachdachte, europäische Truppen in die Ukraine zu schicken, biss er bei seinen Kolleginnen und Kollegen auf Granit. Aus Berlin kam postwendend die Antwort: keinesfalls! „Als deutscher Bundeskanzler werde ich keine Soldaten unserer Bundeswehr in die Ukraine entsenden“, sagte Olaf Scholz damals.

Nun wird Scholz womöglich nicht mehr lange Bundeskanzler sein. Und Macron ist auch nicht mehr der einzige europäische Staatschef, der gewillt ist, Truppen zu schicken. Am Montag erklärte der britische Premierminister Keir Starmer in einem Gastbeitrag in der Zeitung The Telegraph, er sei „bereit und willens“, Soldaten in die Ukraine zu verlegen, um ein mögliches Friedensabkommen abzusichern. Er sage das nicht leichtfertig, so Starmer. „Aber jeder Beitrag, den wir leisten, um die Sicherheit der Ukraine zu garantieren, hilft auch dabei, die Sicherheit unseres Kontinents und unseres Landes zu sichern.“

Ein Ziel, das Starmer mit seinem öffentlichen Angebot verfolgt, ist vermutlich, US-Präsident Donald Trump zu signalisieren, dass Europa zu einem umfassenden, kostspieligen und sogar gefährlichen Engagement in der Ukraine bereit ist. Starmer will durch diesen Einsatz sich und den anderen Europäern einen Platz am Tisch sichern, wenn die USA und Russland in den kommenden Wochen über das Schicksal der Ukraine verhandeln.

Der britische Premier forciert aber auch eine sachliche Debatte, die die europäischen Regierungen bisher lieber vermieden haben. Im Kern steht die Frage: Sind die Europäer gewillt, ein Abkommen, das zum Ende der Kämpfe in der Ukraine führt, mit ihren eigenen Soldaten abzusichern, sprich: es notfalls gegen Russland mit Gewalt durchzusetzen? Bislang war das eine eher theoretische Perspektive. Doch nun hat Trump offiziell Gespräche mit Russland über Frieden in der Ukraine begonnen und die Europäer explizit aufgefordert, nach Washington zu melden, welchen Beitrag sie zur Sicherheit des Landes leisten können und wollen. Die Folge: Die Frage nach europäischen Truppen zu ignorieren, funktioniert nicht mehr.

Was soll die Aufgabe der Truppe sein?

Das bedeutet nicht, dass die Antwort einfacher geworden ist. Das fängt bei sehr grundsätzlichen Dingen an. Zuerst: Sollen solche Truppen mit oder ohne Zustimmung Russlands entsandt werden? Dann: Was soll ihre Aufgabe sein? Sollen europäische Soldaten – eventuell auch gemeinsam mit indischen oder gar chinesischen – nur ein zwischen Moskau und Kiew geschlossenes Waffenstillstands- oder Friedensabkommen beobachten und Verstöße dokumentieren? Eine solche Mission hält eigentlich niemand, der sich mit dem Krieg in der Ukraine beschäftigt, für besonders sinnvoll.

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Was also sonst? Wenn es, wie Starmer schreibt, darum geht, „die Sicherheit der Ukraine zu garantieren“, muss eine Truppe eigentlich die Aufgabe haben, Russland nach einem Friedensschluss dauerhaft davon abzuhalten, den Krieg fortzusetzen. Das kann entweder durch Abschreckung geschehen, wenn eine so große und so hochgerüstete europäische Schutztruppe in der Ukraine steht, dass Moskau keinen weiteren Angriff wagt. Oder es kann im Ernstfall bedeuten, dass diese Truppe sich einem russischen Angriff mit Waffengewalt in den Weg stellen muss, um die Ukraine zu schützen. Bei diesem Mandat würde Moskau der Stationierung aber kaum zustimmen – die Europäer kämen also als Russlands Gegner in die Ukraine.

Der polnische Außenminister Radek Sikorski wies bei der Münchner Sicherheitskonferenz ausdrücklich auf die Möglichkeit einer Konfrontation mit Russland hin. Wer über europäische Truppen in der Ukraine rede, müsse auch darüber reden, ob diese Truppen dort im schlimmsten Fall gegen Russen kämpfen sollen, sagte er. Starmer deutet das in seinem Zeitungsbeitrag zumindest an. Er sei sich bewusst, dass er mit seiner Entscheidung „möglicherweise britische Soldaten und Soldatinnen in Gefahr bringt“, schrieb er.

Sikorski – dessen Regierung kein Befürworter einer europäischen Schutztruppe in der Ukraine ist – warnte in München auch, sich um klare Antworten auf die Frage nach der Kriegsbereitschaft herumzumogeln. Es gebe nichts Gefährlicheres als „leere Sicherheitsgarantien“, sagte er. Zu sagen, man werde ein Land vor einem Angriff schützen, aber in Wahrheit nicht bereit zu sein, es bei einem Angriff auch zu verteidigen, mache eine sicherheitspolitische Lage eher prekärer als stabiler. Sowohl der vermeintlich Geschützte als auch der potenzielle Angreifer könnten sich dann aufgrund von Fehlkalkulationen zu Handlungen hinreißen lassen, die eskalieren.

Rückendeckung durch das US-Militär scheint nicht beabsichtigt zu sein

Entscheidend ist aus Sicht der Europäer auch, ob ihre Schutztruppe in der Ukraine eine rein europäische Mission wäre oder ob die USA eingebunden sind. Rückendeckung durch das amerikanische Militär würde zwar das Eskalationspotenzial bis hin zu einem möglichen Atomkrieg zwischen den USA und Russland erhöhen. Aber US-Unterstützung würde einem europäischen Einsatz auch deutlich mehr Gewicht und Glaubwürdigkeit geben. Starmer hält die Beteiligung der Amerikaner sogar für zwingend. Nur die USA könnten Russland von einem weiteren Krieg gegen die Ukraine abhalten, sagte er am Montag.

Insofern ist es ein Problem, dass nach derzeitigem Stand in Washington keine Bereitschaft zu erkennen ist, US-Soldaten in die Ukraine zu schicken. Das gilt wohl auch für die Absicherung einer europäischen Truppe, indem man sie unter Nato-Kommando stellt, damit die Beistandsklausel der Allianz Gültigkeit hätte und Amerika zu Hilfe käme, sollten russische Soldaten angreifen. Auch das möchte Washington offenbar nicht.

Unterm Strich bleibt das Problem – in Amerika ohnehin, aber auch in Europa –, dass die Bereitschaft in den meisten Ländern nicht besonders groß ist, Soldaten in einen hochriskanten Einsatz in die Ukraine zu schicken. Bundeskanzler Olaf Scholz versuchte daher, die von Starmer losgetretene Debatte am Montag möglichst schnell wieder zu beenden – jetzt, mitten im Krieg, über Truppen in der Ukraine zu reden, sei viel zu früh, sagte er. Gleichzeitig ist der Druck aus Washington so groß, dass auch Scholz sein Nein nicht mehr ganz so kategorisch formulierte wie noch vor einem Jahr. Die Fragen, die nach einem Friedensschluss „zu diskutieren sind über die Sicherheitsarchitektur“, so der Kanzler, „die werden beredet, wenn es so weit ist“.

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