Süddeutsche Zeitung

Ukraine:Schlag gegen den Oligarchen

Präsident Selenskij bekämpft den Einfluss eines Putin-Vertrauten.

Von Florian Hassel, Belgrad

Es waren überraschende Entscheidungen des Nationalen Sicherheitsrates und des ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenskij. Erst schlossen sie am 2. Februar drei Fernsehsender, dann legten sie am 19. Februar mit Sanktionen gegen 19 Firmen, vier Ukrainer und fünf Russen nach und froren deren Vermögen ein. Alle Maßnahmen treffen den Kreis um den Oligarchen Wiktor Medwedtschuk: Der steht mehr als jeder andere für Moskaus fortwährenden Einfluss in der Ukraine - trotz der illegalen Annexion der Krim und des Krieges in der Ostukraine.

Vor zwei Jahrzehnten traf Medwedtschuk Russlands Präsidenten Wladimir Putin. Der Kreml-Herrscher wurde Pate von Medwedtschuks Tochter, der ukrainische Oligarch war bald wichtiger Mittelsmann zwischen Kiew und Moskau und vertrat Kritikern zufolge oft eher Moskauer als Kiewer Interessen: etwa mit den Fernsehsendern News One, Kanal 112 und ZIK.

Die gehören nominell Medwedtschuks Verbündetem Taras Kozak, werden jedoch Medwedtschuk zufolge von ihm selbst kontrolliert. Die Sender überzogen die Ukrainer systematisch mit Desinformationen und falschen Behauptungen: Mit der Annexion der Krim habe Moskau nur einen "künftigen großen Krieg" verhindert, der Krieg in der Ostukraine sei durch "ukrainische Verschwörer" begonnen worden, Ukrainer seien in Wahrheit Russen.

Die US-Administration sanktionierte Medwedtschuk schon im März 2014 als "Bedrohung für die Souveränität und territoriale Integrität" der Ukraine - nicht aber die Ukraine. Dort pflegte Medwedtschuk mit dem damaligen Präsidenten Petro Poroschenko eine stille Allianz: Dessen Medien förderten Poroschenko, der Präsident erlaubte dafür, dass Medwedtschuk seinen Einfluss ausbaute. Mit dem offen prorussisch auftretenden Wahlblock "Oppositionsplattform - Für das Leben" haben Medwedtschuk & Co. im Parlament heute 44 Sitze - es ist die größte Gruppierung nach den "Dienern des Volkes" von Präsident Selenskij.

Selenskij verliert an Beliebtheit

Der scheute sich lange, gegen den Putin-Vertrauten Medwedtschuk vorzugehen. Bis vor Kurzem setzte Selenskij auf Kompromisse, um den Krieg in der Ostukraine zu beenden. Doch mittlerweile scheint auch Selenskij klar zu sein, dass Putin den Konflikt nicht beenden will. Zudem legt die "Oppositionsplattform - Für das Leben" in Umfragen zu, Selenskij dagegen verliert. Und US-Präsident Joe Biden will ohnehin härter gegen Russland vorgehen.

Oligarch Medwedtschuk und seiner Frau Oxana Martschenko gehören gleich 97 Firmen in zwölf Jurisdiktionen, viele davon in Offshore-Steuerparadiesen. Eine 1433 Kilometer lange Pipeline, die Dieselkraftstoff aus Russland und Belarus in die Ukraine und teils weiter bis nach Ungarn brachte, soll nun renationalisiert werden.

Ob die Macht Medwedtschuks und seiner Alliierten gebrochen ist, ist freilich keineswegs ausgemacht. Bereits am 4. Februar registrierte das Oberste Gericht eine Klage auf Annullierung der Sanktionen. Das Medwedtschuk-Lager kann sich auch an das durch Korruption und Manipulation diskreditierte Verfassungsgericht wenden. Bereits 2020 hoben dessen Richter in mehreren vom Medwedtschuk-Lager angestrengten Verfahren zentrale Antikorruptionsmaßnahmen auf. Das Gericht könnte unter Berufung auf angebliche Verletzung der Meinungsfreiheit die Schließung der von Medwedtschuk kontrollierten Fernsehsender aufheben.

Zudem hat der Unternehmer ein weiteres Eisen im Feuer. Dem angesehenen Investigativprogramm Schemij zufolge gehört ihm ein knappes Viertel des ebenfalls oft manipulativ berichtenden Fernsehsenders 1+1, mehrheitlich kontrolliert von Ihor Kolomoiskij. Gegen diesen gleichfalls hochumstrittenen Oligarchen geht Präsident Selenskij bis heute nicht vor: Schließlich brachte Kolomoiskij ihn 2019 mit ins Amt.

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