Krieg in der Ukraine:Selenskij fordert "Flügel für die Freiheit"

Krieg in der Ukraine: Dreiertreffen in Paris: Wolodimir Selenskij, Olaf Scholz und Emmanuel Macron

Dreiertreffen in Paris: Wolodimir Selenskij, Olaf Scholz und Emmanuel Macron

(Foto: Thibault Camus/dpa)

London, Paris, Brüssel: Auf seiner Europareise bittet der ukrainische Präsident um die Lieferung von Kampfjets. Großbritannien will die Verfügbarkeit prüfen. Am Abend trifft Selenskij Bundeskanzler Scholz in Paris.

Von Alexander Mühlauer, London/Paris

Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenskij hat am Mittwoch bei einem überraschenden Besuch in London und anschließend in Paris den Westen um weitere Waffen im Krieg gegen Russland gebeten. Er traf zunächst in der britischen Hauptstadt nicht nur Premier Rishi Sunak, auf dem Programm standen auch eine Rede in Westminster Hall, eine Audienz bei König Charles und nicht zuletzt ein Besuch ukrainischer Soldaten, die in Großbritannien ausgebildet werden. In Paris traf der ukrainische Präsident am späten Abend Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und Bundeskanzler Olaf Scholz im Élysée-Palast, wo er um die Lieferung von Kampfjets und Langstreckenwaffen bat. Macron sagte allgemein: "Die Ukraine kann auf Frankreich und Europa zählen, um diesen Krieg zu gewinnen." Am Donnerstag ist Selenskij zu Gast beim EU-Gipfeltreffen in Brüssel.

Der Europa-Trip des ukrainischen Präsidenten ist dessen zweite öffentlich bekannte Auslandsreise seit Beginn des russischen Angriffskriegs vor knapp einem Jahr. Kurz vor Weihnachten war Selenskij - mit einem Zwischenstopp in Polen - nach Washington gereist. Dass er auf seiner Europareise nun zuerst das Vereinigte Königreich besucht, darauf ist man in Downing Street durchaus stolz. Nach Londoner Lesart zeigt dies ganz klar, dass die Ukraine Großbritannien neben den USA als wichtigsten Verbündeten sieht. Für den britischen Premier hat es gerade nach dem Brexit eine nicht zu unterschätzende Symbolkraft, dass Selenskij zunächst London besucht und erst danach Paris und Brüssel.

Unterstützung für Sunak

Für Sunak kam der Besuch Selenskijs jedenfalls zu einem günstigen Zeitpunkt. Innenpolitisch steht der Premier ziemlich unter Druck. Großbritannien erlebt in diesem Winter die größte Streikwelle seit den Achtzigern, die Umfragewerte von Sunaks Konservativer Partei sind miserabel, da hilft es natürlich, dass er sich an diesem Mittwoch an der Seite Selenskijs zeigen kann. Die breite Zustimmung, die Ukraine weiter mit militärischen Mitteln zu unterstützen, ist in der britischen Bevölkerung nach wie vor ungebrochen.

Und so stand Sunak an diesem Mittwochmittag im Parlament und sagte: "Präsident Selenskijs Besuch ist ein Zeugnis für den Mut, die Entschlossenheit und den Kampfgeist seines Landes und Zeugnis der unerschütterlichen Freundschaft unserer beiden Länder." Der Premier kündigte an, das britische Ausbildungsprogramm für ukrainische Soldaten auszuweiten. In den vergangenen sechs Monaten haben rund 10 000 Ukrainer militärische Trainings in Großbritannien durchlaufen, in diesem Jahr sollen weitere 20 000 hinzukommen. Dabei werden sie nicht nur im Umgang mit den britischen Kampfpanzern Challenger geschult, die nach Angaben von Sunak bereits im März in der Ukraine eingesetzt werden. Künftig sollen auch Kampfpiloten und Marinesoldaten ausgebildet werden. So sollen ukrainische Piloten laut Downing Street auch in der Lage sein, Kampfjets zu fliegen. Nach dem Treffen bat Sunak seinen Verteidigungsminister Ben Wallace zu prüfen, ob Kampfjets langfristig verfügbar seien.

Krieg in der Ukraine: König Charles III. (l) empfängt den ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenskij im Buckingham Palace.

König Charles III. (l) empfängt den ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenskij im Buckingham Palace.

(Foto: Aaron Chown/dpa)

Als Selenskij am Mittwochnachmittag in Westminster Hall auftrat, jenem Teil des britischen Parlamentsgebäudes, in dem der Sarg von Queen Elizabeth II. im Herbst aufgebahrt worden war, zollte er zunächst dem britischen Volk Tribut für die Unterstützung seines Landes. "London hat Kiew seit dem ersten Tag geholfen", sagte er. Selenskij dankte Sunak für die Kampfpanzer-Lieferungen, besonders aber dankte er dessen Vorvorgänger: "Boris, du hast andere vereint, als es absolut unmöglich erschien." Der frühere Premier Boris Johnson, der wie die anderen Mitglieder des Unter- und Oberhauses in Westminster Hall stand, nickte dem Präsidenten zu.

Ein Geschenk für die Briten

Selenskijs Botschaft ist an diesem Mittwoch eindeutig: "Die Welt braucht Großbritanniens Führung." Denn eines sei gewiss: "Die Freiheit wird gewinnen. Russland wird verlieren." Wie es sich für einen Gast gehört, hat Selenskij ein Geschenk mitgebracht. Er übergab Lindsay Hoyle, dem Sprecher des Unterhauses, einen Pilotenhelm des ukrainischen Militärs. Auf diesem stand in Handschrift: "We have freedom, give us wings to protect it". ("Wir haben die Freiheit, gebt uns die Flügel, um sie zu beschützen.") Selenskij forderte damit das, was er schon seit Längerem verlangt: die Lieferung von Kampfflugzeugen. Und wie schon bei den Kampfpanzern hofft er darauf, dass Großbritannien als Erstes Ja sagt.

Krieg in der Ukraine: Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenskij (r) in der Westminster Hall.

Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenskij (r) in der Westminster Hall.

(Foto: STEFAN ROUSSEAU/AFP)

Zum Schluss seiner Rede erinnerte Selenskij noch an seine erste Reise als ukrainischer Präsident nach London, vor zwei Jahren war das. Damals, so sagte er, habe er sich für köstlichen englischen Tee bedankt. Diesmal möchte er sich schon im Vorhinein für leistungsstarke englische Flugzeuge bedanken. Und "by the way" fügte er hinzu, es sei schon fast fünf Uhr nachmittags, also Tea Time. Oder anders gesagt: höchste Zeit.

Mindestens einen der Anwesenden an diesem Mittwoch brauchte er davon nicht mehr zu überzeugen. Boris Johnson hat die britische Regierung bereits dazu aufgerufen, der Ukraine alle Waffen zu liefern, die sie benötige. In der vergangenen Woche wiegelte Downing Street allerdings noch ab. Die Lieferung von Kampfjets sei "nicht praktikabel", hieß es, schließlich brauche es einige Zeit, um das ukrainische Militär so zu schulen, dass es die Flugzeuge auch bedienen könne. Doch genau diese Ausbildung soll nun bald beginnen.

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