Ukraine:Selenskij erhält weitere Hilfe

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"Wir werden nicht wanken": Die Staats- und Regierungschefs der G-7-Staaten haben dem ukrainischen Präsident (Mitte) mehr Unterstützung zugesagt. (Foto: Stefan Rousseau/AFP)

Beim G-7-Gipfel sagt ihm US-Präsident Joe Biden neue Waffen zu und gibt seinen Widerstand gegen Kampfjet-Lieferungen auf. Kiew bestreitet, dass russische Truppen die Stadt Bachmut erobert haben.

Von Florian Hassel, Belgrad

US-Präsident Joe Biden hat zum Abschluss des G-7-Gipfels in Hiroshima bekräftigt, dass die führenden Industrienationen die Ukraine im Krieg gegen Russland weiter unterstützen und gab weitere Hilfe frei. Die Ukraine soll weitere Artilleriemunition und gepanzerte Fahrzeuge erhalten. "Wir werden nicht wanken - Putin wird unsere Entschlossenheit nicht brechen, so wie er gedacht hat", sagte Biden

In einem Gespräch mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenskij bekräftigte der US-Präsident, dass er seinen früheren Widerstand gegen die Lieferung moderner F-16-Kampfflugzeuge an die Ukraine aufgegeben hat. Washington wird nun mithelfen, dass europäische Nato-Länder wie Holland, Dänemark oder Polen, Belgien, Portugal oder Rumänien F-16-Jagdflugzeuge an die Ukraine liefern. Kiew rechnet damit, dass die ersten F-16 Ende September einsatzbereit in der Ukraine wären. Der britische Premierminister Rishi Sunak und der niederländische Regierungschef Mark Rutte hatten vor wenigen Tagen eine europäische Koalition zur Ausbildung ukrainischer Piloten und zur Lieferung von F-16-Jets angekündigt.

Die Ukraine verfügt bisher nur über jahrzehntealte MiG-29 und Su-27-Jagdflugzeuge aus Sowjetzeiten und hat General James Hecker, dem US-Luftwaffenchef für Europa, zufolge bis Anfang März 60 Flugzeuge verloren - bei einer Luftwaffe von schätzungsweise 145 Flugzeugen zu Kriegsbeginn. Zwar schossen die Ukrainer dem General zufolge auch gut 70 russische Flugzeuge ab, doch Moskau kann selbst neue Flugzeuge bauen.

Zudem spielen moderne russische Kampfflugzeuge eine wichtige Rolle beim Moskauer Angriffskrieg auf die Ukraine: Sie feuern etwa Marschflugkörper auf ukrainische Ziele ab, laut Ukraines Verteidigungsminister Oleksij Resnikow aus einer Entfernung von mehr als 150 Kilometern. Die Ukraine dagegen konnte bis vor Kurzem laut Resnikow bisher nur Raketen mit einer Reichweite von 30 Kilometern abfeuern. Allerdings ist Kiew in der Lage, russische Ziele in maximal 80 Kilometern Entfernung mit dem von den USA gelieferten Himars-Raketenwerfer zu treffen.

Kürzlich aber lieferte Großbritannien Kiew die ersten Storm Shadow-Marschflugkörper, die eine Reichweite von bis zu 250 Kilometer haben. Die Ukraine greift damit bereits russische Ziele auf besetzten Gebieten an. Die F-16-Kampfflugzeuge würden die Reichweite der Ukraine noch erheblich vergrößern.

US-Präsident Biden sagte in Hiroshima, er habe von Selenskij die Zusage erhalten, Kiew werde F-16 nicht gegen Ziele auf "russischem geographischem Territorium" einsetzen. Die Krim und andere von Moskau besetzte Regionen der Ukraine dagegen sind mit F-16s und Storm Shadow-Marschflugkörpern wohl flächendeckend zu erreichen. Der US-Präsident verteidigte in Hiroshima seine lange Weigerung, Kiew F-16 zu liefern oder dies anderen zu gestatten. Biden verwies auf die umkämpfte Stadt Bachmut in der Ostukraine. Hier hätten F-16 "keinerlei zusätzliche Folgen" gehabt.

Die Söldnertruppe Wagner, Russlands Verteidigungsministerium und der Kreml meldeten am Wochenende, russische Truppen hätten die Stadt am Samstag restlos erobert. Präsident Selenskij und der ukrainische Generalstab bestritten dies. Einer Armeesprecherin zufolge hätten die Ukrainer Bachmut in eine Halbumkreisung genommen und kontrollierten weiter einen Teil der Stadt.

Indes zeigten geolokalisierte Aufnahmen schon am 18. Mai, dass Wagner-Truppen 95 Prozent Bachmuts kontrollierten und ukrainische Einheiten nur noch wenige Straßen und Wohnhäuser am westlichen Stadtrand, überschlug der Kyiv Independent. Es ist gut möglich, dass Wagner auch diese Straßen nun erobert hat. Kiew hat bei anderen Gelegenheiten - etwa im Januar beim Fall der Stadt Soledar an die Russen - einen Verlust erst mit Verzögerung zugegeben.

Doch die militärische Lage bei Bachmut ist kompliziert. Denn nördlich, westlich und südwestlich der Stadt haben im Gegenzug ukrainische Einheiten in den vergangenen Tagen nach übereinstimmenden, auch russischen Angaben erfolgreiche Gegenangriffe gestartet und mehrere Dörfer und insgesamt gut 20 Quadratkilometer zurückerobert. Der britischen Militäraufklärung zufolge hat Moskau in den vergangenen Tagen offenbar hastig mehrere Bataillone zur Verstärkung geschickt.

Ein weiteres Vordringen russischer Kräfte in Richtung der nächsten ukrainischen Stadt Kostjantyniwka und vor allem zu den ukrainischen Hauptstützpunkten im Donbass - Kramatorsk und Slawjansk - erscheint deshalb unwahrscheinlich. Allerdings stufen ukrainische Fachleute ihrerseits auch die ukrainischen Angriffe lediglich als lokales Vordringen in der Region ein, nicht als den Beginn einer seit Wochen erwarteten ukrainischen Gegenoffensive, bei der neue, mit westlicher Technik ausgerüstete Brigaden zum Einsatz kommen sollen.

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