Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenskij hat Deutschland gebeten, sein Land in einer Koalition mit anderen Partnern durch die Lieferung moderner Kampfjets zu unterstützen. Die Ukraine arbeite daran, "eine Kampfjet-Koalition zu schaffen", sagte Selenskij am Sonntag bei seinem Deutschland-Besuch nach einem Treffen mit Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) im Kanzleramt in Berlin. Russland habe derzeit ein Übergewicht im Luftraum. Dies wolle man ändern.
Scholz reagierte darauf zurückhaltend. Deutschland habe der Ukraine sehr viel geliefert. Gerade was die Luftverteidigung betreffe, seien dies sehr moderne Waffen. "Das ist das, worauf wir uns als Deutsche jetzt konzentrieren." Es gehe um den massiven Versuch sicherzustellen, dass Russland seine Truppen zurückziehe, wenn man den Frieden in der Ukraine sichern wolle, teilte Scholz mit. "Wir unterstützen die Ukraine, solange es nötig sein wird", sagte er. Bisher sei Hilfe im Wert von 17 Milliarden Euro geleistet worden.
Selenskij: "Wir greifen das russische Territorium nicht an"
Für Selenskij ist es der erste Besuch in Deutschland seit dem russischen Angriff auf die Ukraine vor mehr als einem Jahr. Im Kanzleramt äußerte er sich auch zu Befürchtungen, seine Streitkräfte könnten mit moderneren westlichen Waffen auch russisches Staatsgebiet angreifen. Er sagte: "Wir greifen das russische Territorium nicht an." Man habe dafür keine Zeit, keine Kräfte und keine überzähligen Waffen. Man habe sich gemäß internationalem Recht bei der Vorbereitung der Gegenoffensivaktionen ausschließlich auf die Befreiung "unseres von der ganzen Welt anerkannten Territoriums" konzentriert.

Historiker im Interview:"Die Entscheidung wird im Kampf um die Krim fallen"
Die Brutalität der russischen Armee habe Tradition, sagt der britische Historiker Antony Beevor und vergleicht Putin mit Hitler. In der Ukraine hänge nun alles von ihrer Offensive ab - und die Zeit laufe gegen Moskau.
Mit Blick auf die geplante Frühjahrsoffensive seiner Truppen rechnet Selenskij mit erheblichen Fortschritten. "Wir wollen alle, dass dieser Krieg bald endet, aber er muss mit einem gerechten Frieden enden", sagte er und ergänzte: "Bereits in diesem Jahr können wir die Niederlage des Aggressors unumkehrbar machen." Zwar gebe es das Risiko, dass die Unterstützung nachlasse, wenn die ukrainische Offensive nicht sehr erfolgreich sei, räumte er ein. Dennoch glaube man an den Erfolg.
Scholz sagte, die Ukraine verlange zu Recht, dass eine Friedenslösung nicht bedeuten könne, "einfach den Krieg einzufrieren und dass ein Diktatfrieden von russischer Seite formuliert wird". Es handele sich um einen imperialistischen Angriff auf ukrainisches Territorium. "Russland muss Truppen zurückziehen. Ohne das wird es nicht gehen."
Dank an Steinmeier und Deutschland
Am Sonntagvormittag empfing Scholz den ukrainischen Präsidenten mit militärischen Ehren im Kanzleramt. Zuvor war Selenskij bei Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in Schloss Bellevue zu Gast. Selenskij dankte Deutschland für die Unterstützung im Krieg. "In der schwierigsten Zeit in der modernen Geschichte der Ukraine hat sich Deutschland als unser wahrer Freund und verlässlicher Verbündeter erwiesen, der im Kampf für die Verteidigung von Freiheit und demokratischen Werten entschieden an der Seite des ukrainischen Volkes steht", schrieb Selenskij auf Englisch ins Gästebuch. Er ergänzte: "Gemeinsam werden wir gewinnen und den Frieden nach Europa zurückbringen."

Ausdrücklich bedankte sich Selenskij bei Steinmeier persönlich für dessen Unterstützung. Er schrieb: "Vielen Dank, Herr Bundespräsident, für Ihre persönliche Unterstützung der Ukraine und Gastfreundschaft." Er dankte auch dem deutschen Volk für dessen "fantastische Solidarität". Auf Deutsch ergänzte er: "Danke, Deutschland!"

Am Sonntagnachmittag flogen Scholz und Selenskij gemeinsam zur Verleihung des Karlspreises an den ukrainischen Präsidenten nach Aachen. Selenskijs Teilnahme war lange ungewiss. Er gilt als sehr gefährdet.
Selenskij und das ukrainische Volk werden für Verdienste um die Einheit Europas geehrt. In der Begründung für die Preisverleihung wurde Selenskijs Rolle bei der Abwehr des Kriegs hervorgehoben: Er sei nicht nur der Präsident seines Volkes und der Oberbefehlshaber der ukrainischen Armee. Er sei "auch der Motivator, Kommunikator, der Motor und die Klammer zwischen der Ukraine und der großen Phalanx der Unterstützer".
Selenskij hat seine Auszeichnung mit dem Karlspreis als "große Ehre" bezeichnet. Er stehe hier für die Ukrainerinnen und Ukrainer, die jeden Tag für ihre Freiheit und für die Werte Europas kämpften, sagte Selenskij in seinem Dankeswort bei der Verleihung im Krönungssaal des Aachener Rathauses. "Jeder von ihnen würde es verdienen, hier zu stehen."
Selenskij betonte, dass die Ukraine nichts lieber wolle als den Frieden - dieser könne in dem derzeitigen Konflikt aber nur mit einem Sieg gewonnen werden. Der Krieg in der Ukraine entscheide auch über das Schicksal Europas, weil es Russland darum gehe, die Geschichte der europäischen Einigung ungeschehen zu machen. Russland sei "zu jeder Grausamkeit und Gemeinheit fähig".