Wolodimir Selenskij landete mit dem Hubschrauber direkt am Kanzleramt, der ukrainische Präsident hat einen eng getakteten Zeitplan. Er sucht händeringend nach weiterer Unterstützung im Verteidigungskrieg gegen Russland, um seinem Ziel eines gerechten und dauerhaften Friedens für sein Land irgendwie näherzukommen.
Es war schon der vierte Besuch in Deutschland in diesem Jahr, und vor den Fahnen der Ukraine und Deutschland machte Kanzler Olaf Scholz (SPD) am Freitag klar: „Lieber Wolodimir, Deutschland steht weiter fest an deiner Seite.“ Deutschland sei der weltweit zweitgrößte Unterstützer der Ukraine im Widerstand gegen diesen „erbarmungslosen Angriffskrieg“, der nun schon rund 1000 Tage andauere. „Dabei wird es bleiben. Das kann ich dir hier und heute versichern.“ Das sei auch ein Signal an den russischen Präsidenten Wladimir Putin: „Ein Spiel auf Zeit wird nicht funktionieren. Wir werden in unserer Hilfe nicht nachlassen.“ Selenskij lobte besonders die große Unterstützung bei der Luftverteidigung, das habe schon Tausende Leben gerettet. Nun sollen weitere Iris-T-Systeme geliefert werden. Und Scholz machte offiziell, dass Deutschland noch einmal zusätzlich 1,4 Milliarden Euro an Unterstützung mobilisieren wird – das war vor einigen Wochen schon auf den Weg gebracht und unter anderem bei den Bundestags-Haushältern beantragt worden.
Die Absage des Deutschlandbesuchs von US-Präsident Joe Biden wegen des Hurrikans Milton hat die mit den Verbündeten geplante Choreografie Selenskijs durcheinandergewirbelt. Eigentlich sollten sich am Samstag die mehr als 50 Länder der Kontaktgruppe zur Verteidigung der Ukraine auf der US-Basis in Ramstein hinter seinem „Siegesplan“ versammeln und ihre Unterstützung mit neuen Zusagen für Waffenlieferungen untermauern. Selenskij will mit dem Plan im kommenden Jahr Friedensverhandlungen erreichen – ohne größere Gebietsabtretungen und aus einer Position der Stärke.
Dieser sieht grob gesagt vor, den Druck auf Russland so zu erhöhen, dass Putin einsieht, dass der Preis für ein Fortführen des Krieges zu hoch und er zum Truppenabzug bereit ist. Ein Element sollte die Erlaubnis sein, von den USA, Frankreich und Großbritannien gelieferte weitreichende Waffen auch gegen Ziele weit im russischen Hinterland einzusetzen, um etwa Basen anzugreifen, von denen aus der Einsatz tückischer Gleitbomben gesteuert wird. Aber weder diese Erlaubnis gab es bisher noch eine erhoffte umfangreichere Ausweitung von Waffenlieferungen.
Einem Waffenstillstand entlang des derzeitigen Frontverlaufs würde Selenskij nicht zustimmen
Statt nach Ramstein war Selenskij vor seinem Besuch in Berlin schon nach London, Paris und Rom gereist, wo er Premierministerin Giorgia Meloni traf, die den G-7-Vorsitz führt, und Papst Franziskus. Nach seinem Treffen mit Frankreichs Präsident Emmanuel Macron dementierte Selenskij entschieden Berichte, dass er einem Waffenstillstand entlang des derzeitigen Frontverlaufs zustimmen könnte. Aber generell gewinnt das Thema einer Lösungssuche derzeit an Fahrt, hier wird auch auf Staaten wie Indien, China und Saudi-Arabien gesetzt.
Deutschland hat bisher in diesem Jahr rund 7,5 Milliarden Euro an Militärhilfen zugesagt. Weil das Verteidigungsministerium bei den Heizkosten sparen konnte und die Inflation geringer ausgefallen ist, konnte Minister Boris Pistorius (SPD) noch 400 Millionen Euro zusätzlich aus seinem Etat für die Ukraine mobilisieren. Hinzu kommt eine Milliarde Euro durch Mittel, die man von Partnern eingeworben hat, vor allem zur Stärkung der Luftverteidigung; zudem ist nun die weitere Lieferung von Munition, Ersatzteilpaketen, Marder-Schützenpanzern und Drohnen geplant. Im kommenden Jahr sollen die deutschen Militärhilfen aus Haushaltsgründen auf vier Milliarden Euro sinken. Man hofft aber auf eine zusätzliche Kredithilfenlösung für Kiew der G-7-Staaten – in Höhe von 50 Milliarden Dollar. Scholz betonte, das werde klappen.
Der dritte Kriegswinter könnte der härteste werden
Zuletzt hat sich für die Ukraine die Lage jedoch weiter verdüstert, dem Land steht der dritte Kriegswinter bevor, es könnte der härteste werden. Russland hat systematisch die Energieinfrastruktur angegriffen, es könnte zu großflächigen Heizungs- und Stromausfällen kommen. Es gibt ferner Probleme, neue, motivierte Soldaten zu rekrutieren. Viele Soldaten kämpfen seit Monaten an der Front, sind ausgelaugt. Zudem fehlt es durch den hohen Verschleiß an Ersatzteilen für geliefertes Militärgerät. Und nach einer Studie des Instituts für Weltwirtschaft in Kiel könnte die internationale Militärunterstützung 2025 deutlich zurückgehen.
Es ist interessant, was der aus dem Amt ausgeschiedene Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg zuletzt der Financial Times sagte, angesprochen darauf, wie dieser Krieg enden könnte. Auf die Frage, was er Selenskij vorschlagen würde, antworte Stoltenberg mit einem historischen Vergleich: „Finnland hat einen tapferen Krieg geführt gegen die Sowjetunion im Jahr 1939. Die Kosten für die Rote Armee waren höher als erwartet.“ Der Krieg habe damit geendet, dass die Finnen zehn Prozent des Territoriums aufgaben. „Aber sie bekamen eine sichere Grenze.“ Das sei jedoch mit der Neutralität Finnlands einhergegangen, bis das Land zuletzt der Nato beigetreten ist. Es zeichnet sich ab, dass das Thema von Gebietsabtretungen und die von den Nato-Staaten zu gewährenden Sicherheitsgarantien bei möglichen Friedensverhandlungen zentral werden könnten.

USA:Donalds Freundschaftsgeschenke für Wladimir
Als Präsident soll Trump Russlands Machthaber Putin mit Covid-Testkits versorgt haben – die da sogar für Medizinpersonal fehlten, berichtet Starjournalist Bob Woodward. Republikaner bestreiten das, aber die Lieferungen gab es.
Russland will einen direkten Nato-Beitritt der Ukraine auf keinen Fall akzeptieren, der Kreml macht zur Voraussetzung von Verhandlungen, dass Kiew mindestens die von Moskau annektierten Gebiete abtritt. Eine große Unsicherheit für die Ukraine birgt auch die Frage, wie es mit der Unterstützung durch die USA nach den Präsidentschaftswahlen am 5. November weitergehen könnte. Donald Trump hat angekündigt, im Falle eines Wahlsiegs den Krieg binnen kurzer Zeit beenden zu wollen. Aber der Kanzler versichert Selenskij im Kanzleramt: „Wir werden keinen Diktatfrieden Russlands akzeptieren.“