In der zweiten Nacht in Folge hat die russische Luftwaffe einen Großangriff auf Ziele in der Ukraine geflogen. Mindestens vier Menschen sollen dabei in den Städten Krywyj Rih und Saporischschja getötet worden sein. Aus der Hauptstadt Kiew wurden Brände gemeldet, Zehntausende sollen sich vor den Angriffen in der Metro in Sicherheit gebracht haben. 60 von 81 mit Sprengstoff beladenen Shahed-Drohnen sowie fünf von elf Raketen verschiedenen Typs konnten laut ukrainischer Luftwaffe abgefangen werden.
Bereits in der Nacht auf Montag hatte Russland mit mehr als 200 Drohnen und Raketen vor allem die zivile Infrastruktur in der Ukraine angegriffen. In einigen Teilen des Landes waren daraufhin Notabschaltungen der Stromversorgung nötig gewesen. Die russische Armee hatte bereits viele Kraftwerke in der Ukraine zerstört oder beschädigt, die Kapazitäten zur Stromerzeugung liegen nur noch bei etwa der Hälfte im Vergleich zum vergangenen Jahr. Es ist unklar, ob im kommenden Winter die Versorgung mit Wärme und Energie sichergestellt werden kann. Russland versucht wegen ausbleibender militärische Erfolge mit solchen völkerrechtswidrigen Angriffen offensichtlich, die Zivilbevölkerung zu zermürben.
Noch nie seit Beginn des Krieges gab es zwei so heftige Luftangriffe kurz nacheinander. Womöglich geht es Moskau bei den Angriffen auch um Vergeltung für das Eindringen der ukrainischen Armee in die russische Region Kursk. Seit mehr als drei Wochen haben ukrainische Streitkräfte einen Teil der russischen Oblast besetzt. Laut dem ukrainischen Oberbefehlshaber Oleksandr Syrskyj befinden sich aktuell mehr als 100 Orte, darunter die Kleinstadt Sudscha, unter ukrainischer Kontrolle. 594 russische Soldaten sollen gefangen genommen worden sein, die russische Armee habe bereits 30 000 weitere Soldaten in die Region verlegt.
Die Einnahme von Pokrowsk wäre ein großer Erfolg für die Russen
Bislang scheint es den russischen Streitkräften aber nicht gelungen zu sein, die ukrainischen Truppen zurückzudrängen. Ein Ziel des ukrainischen Angriffs auf russisches Territorium ist es vermutlich auch, die russische Armee zum Abzug von Truppen aus der Ukraine zu bezwingen. Im großen Maßstab scheint das bisher allerdings bisher nicht geschehen zu sein. Teilweise wohl sogar im Gegenteil: Laut Syrskyj hat die russische Armee einige ihrer besten Einheiten in die Region um die ukrainische Stadt Pokrowsk im Donbass verlegt.
Pokrowsk gilt als strategisch wichtiger Verkehrsknotenpunkt. Die Einnahme der Stadt wäre ein großer Erfolg und würde es den russischen Truppen erlauben, leicht auf weitere Städte im Donbass vorzurücken sowie mehrere wichtige Orte um die Stadt Kramatorsk aus zwei Richtungen zu bedrohen. Auch wären von dort aus Vorstöße in die angrenzenden ukrainische Oblaste möglich.
Unklar ist derzeit noch die Lage der Grenze zur russischen Region Belgorod. Laut Angaben russischer Behörden soll dort ein weiterer Angriff ukrainischer Truppen abgewehrt worden sein. Die ukrainische Seite hat sich zu der Behauptung bislang nicht geäußert. Manche Experten wie Michael Kofman hatten im Vorfeld allerdings einen weiteren ukrainischen Angriff auf russisches Gebiet erwartet. Militärisch hat die Ukraine mit diesen Vorstößen die Initiative wiedererlangt. Der ukrainischen Zivilbevölkerung bringen sie bislang aber, wie die Angriffe der vergangenen Nächte zeigen, kaum mehr Schutz vor den ständigen russischen Angriffen.