Süddeutsche Zeitung

Ukraine-Krise:Putins Völkerrechtsschauspiel

Russlands Präsident behauptet, die Existenz der Bevölkerung in der Ost-Ukraine sei bedroht. Damit will er den Anschein erwecken, er hielte sich an das Völkerrecht.

Von Ronen Steinke, Berlin

Die gute Nachricht: Russlands Präsident Wladimir Putin bemüht sich erkennbar, seinem Vorgehen gegen die Ukraine einen legalen Anstrich zu geben. Das heißt: Es ist noch nicht vollkommen egal, was das Völkerrecht sagt. Das ist eigentlich erstaunlich, Putin hält sich zumindest zum Schein an die völkerrechtlichen Regeln, er nimmt für sich in Anspruch, das Recht auf seiner Seite zu haben, er betreibt dafür sogar großen Aufwand. Die schlechte Nachricht: Es ist ein Schauspiel.

Da wäre zunächst die "Anerkennung" der beiden "Volksrepubliken" Donezk und Luhansk, die Putin am Montagabend ausgesprochen hat. Das sind zwei Regionen im Osten der Ukraine. Putin hat erklärt, Russland wolle sie künftig als unabhängige Staaten betrachten. Die völkerrechtliche Regel hier ist klar: So etwas darf Russland nicht einfach frei entscheiden. Wer "Sezessionsgebilde" in anderen Staaten anerkennt, der verletzt die Souveränität dieser anderen Staaten. So lautet der Grundsatz, den auch und gerade Russland im wichtigsten völkerrechtlichen Präzedenzfall hierzu, dem Streit um die Sezession Kosovos von Serbien, nachdrücklich hochgehalten hat.

Die einzige Ausnahme: Eine Sezession ist erlaubt, wenn eine Attacke des Mutterstaats droht, welche "die Existenz der betreffenden Bevölkerung bedroht". Mit dieser Formulierung, von Russland vorgetragen vor dem Internationalen Gerichtshof im Kosovo-Verfahren am 16. April 2009, hat Russland seine grundsätzliche Einigkeit mit den westlichen Staaten bekräftigt. So stellt es Putin nun im Fall der Ostukraine dar: Dort drohe der Bevölkerung exakt solche extreme Gewalt - durch das "Kiewer Regime". Die Menschen in Luhansk und Donezk hätten also ein Recht zur Sezession. Und Russland und jeder andere Staat hätten ein Recht, dies zu unterstützen.

Dreh- und Angelpunkt ist also "die Lüge", dass in diesen Regionen, die an Russland angrenzen, schreckliche Massenverbrechen drohen würden, sagt der in Hamburg lehrende Völkerrechtsprofessor Stefan Oeter. So verfahre Russland nicht zum ersten Mal. Schon 2008 im Konflikt mit Georgien handelte es genau nach diesem Muster, als es die dortigen Regionen Abchasien und Südossetien als vermeintliche eigene Staaten anerkannte. Es sei "vollkommen klar", dass die Einmischung Russlands in der Ukraine widerrechtlich sei, sagt Oeter. Dieses Unrecht habe dort schon vor acht Jahren begonnen. "Bisher verdeckt, jetzt immer offener. Russland begeht eine fortgesetzte Aggression gegen die Ukraine."

Das führt zur zweiten Frage. Eine Aggression, also ein widerrechtlicher Angriff, könnte ein Fall für den Internationalen Strafgerichtshof (ICC) in Den Haag sein. Angriffskrieg ist dort ein Verbrechenstatbestand. Die Ukraine hat die Zuständigkeit des Gerichtshofs schon 2014 mit einer sogenannten Unterwerfungserklärung akzeptiert. Allerdings gilt beim Tatbestand des Angriffskrieges eine besondere Klausel. Beide Seiten müssen einer Ermittlung zustimmen, also auch Russland. Das habe man vor Jahren als politischen Kompromiss beschlossen, sagt der in Göttingen lehrende Völkerrechtler Kai Ambos. "Da ist der ICC zahnlos."

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