Ukraine:Was deutsche Ermittler in Putins Krieg ausrichten können

Ukraine: Peter Frank, Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof.

Peter Frank, Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof.

(Foto: Christoph Schmidt/DPA)

Wegen konkreter Anhaltspunkte für russische Kriegsverbrechen hat die deutsche Justiz ein Verfahren eingeleitet. Im Falle von Syrien hat dieses Vorgehen zu Anklagen und Urteilen gegen einzelne Täter geführt.

Von Lena Kampf

Der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof (GBA), Peter Frank, hat Ermittlungen gegen Russland eröffnet, nachdem es beim Angriff auf die Ukraine konkrete Anhaltspunkte für Kriegsverbrechen gegeben hatte. Das könnten nach Information der SZ der Abwurf von Streubomben auf Krankenhäuser, der gezielte Beschuss von flüchtenden Zivilisten, aber auch Angriffe auf ein Kernkraftwerk, Atommülldeponien oder Gaspipelines durch das russische Militär sein.

Erst am Montag hatte das Internationale Rote Kreuz berichtet, dass ein Fluchtkorridor aus der Stadt Mariupol im Süden der Ukraine von russischen Kräften vermint gewesen sein könnte. Die mutmaßlichen Verstöße seitens Russlands sind so massiv, dass der GBA nicht von Versehen, etwa fehlgeleiteten Raketen, ausgeht, sondern von Absicht und Methode. Außerdem werden weitere Verbrechen erwartet, die dann ebenfalls bei den Ermittlungen eine Rolle spielen können.

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Der GBA in Karlsruhe ist zuständig für die Verfolgung von Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit weltweit, die Taten müssen keinen Bezug zu Deutschland haben. Bei dem Verfahren gegen Russland handelt es sich um ein sogenanntes Strukturermittlungsverfahren, es richtet sich noch nicht gegen einzelne Personen. Strukturermittlungen sind meist sehr umfangreich und gleichen dem Zusammensetzen eines Mosaiks, bei dem unter anderem Berichte von Nichtregierungsorganisationen, internationale Berichterstattung, Regierungserklärungen und Erkenntnisse von Sicherheitsbehörden ausgewertet und geprüft werden.

"Wir nehmen alles, was wir kriegen können", so hat es ein Ermittler einmal ausgedrückt. Teil davon ist auch, die Kommandostrukturen zu ermitteln. Daraus kann sich später ein Bild individueller Verantwortung für bestimmte Taten ergeben, die dann zu personenbezogenen Ermittlungsverfahren gegen einzelne russische Befehlshaber oder Soldaten werden können. Sollte man dieser Personen habhaft werden, kann dies zu Anklagen und Gerichtsverfahren auch in Deutschland führen.

Deutsche Ermittler könnten mit Hilfe von ukrainischen Stellen rechnen

Im Fall von Syrien ist das geschehen: Mit Beginn der Revolution 2011 und des anschließenden Bürgerkriegs hatte der GBA ebenfalls ein Strukturermittlungsverfahren aufgenommen, bei dem sich die deutschen Ermittler einerseits mit den systematischen Angriffen des Assad-Regimes gegen die Zivilbevölkerung, andererseits mit den Verbrechen des IS befassten und diese aufzuklären versuchten. 2018 konnte der GBA erstmals Haftbefehle gegen Verantwortliche von Folter und Verbrechen gegen die Menschlichkeit erwirken, drei Männer konnten daraufhin in Deutschland angeklagt werden, zwei sind bereits durch das Oberlandesgericht Koblenz zu Haftstrafen verurteilt worden.

Die Urteile werden international als Meilenstein im Kampf gegen die Straflosigkeit der Machthaber in Syrien gewertet. Der Chef des syrischen Luftwaffengeheimdiensts Jamil Hassan wird allerdings weiterhin per internationalem Haftbefehl gesucht. Die Aufklärung dieser Taten wurde erleichtert, weil viele syrische Geflüchtete in Deutschland als Zeugen ausgesagt hatten - und auch mutmaßliche Täter nach Deutschland geflüchtet sind. Die deutschen Staatsanwälte konnten jedoch nicht vor Ort ermitteln.

In der Ukraine ist dies anders. Während es im Augenblick noch unklar ist, inwiefern Ermittlungen auch im Land selbst möglich sein werden, kann man davon ausgehen, dass der GBA von ukrainischen Stellen unterstützt würde, weil diese - anders als das syrische Regime - Interesse an einer Aufklärung der Taten haben. Der GBA steht außerdem über ein europaweites Netz im engen Austausch mit anderen EU-Staaten sowie dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag. Dieser hat ebenfalls gegen Russland Ermittlungen wegen mutmaßlichen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit aufgenommen, obwohl weder Russland noch die Ukraine Vertragsstaaten sind. 40 Vertragsstaaten hatten aber förmlich die Aufnahme von Ermittlungen beantragt.

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