Wutrede:Wie Putin die Entsendung von Truppen begründet

Ein emotionaler Wladimir Putin spricht der Ukraine ihr Existenzrecht ab, weist ihr die Schuld für künftiges Blutvergießen zu. Und lässt gefährlich offen, wie weit er zu gehen bereit ist.

Von Silke Bigalke, Moskau

Der Kreml hatte Wladimir Putins TV-Ansprache recht kurzfristig angekündigt. Das Staatsfernsehen übertrug abends noch die feierliche Rückkehr der russischen Olympioniken, es wurden Fahnen geschwenkt, Sieger bejubelt, die Nationalhymne gesungen. Eine bildgewaltigere Hinführung hätte sich Putin kaum wünschen können für seine Rede, in der es um die von russischen Streitkräften umstellte Ostukraine gehen sollte.

Bereits Stunden vor der Übertragung war klar, dass der Kremlchef die Separatistenrepubliken Donezk und Luhansk anerkennen würde. Diese Entwicklung allein war beunruhigend genug, die Anerkennung gilt als Zeichen dafür, dass Putin nicht länger auf eine diplomatische Lösung warten möchte. Seine Rede geriet dann aber noch dramatischer als erwartet, denn sie zeigte: Dem Kremlchef geht es noch um etwas viel Grundsätzlicheres als um den Donbass.

Putin sitzt an seinem Schreibtisch vor gewohnter Kulisse, während er spricht, wird er ungewohnt emotional. Etwa eine Stunde lang wettert er gegen die Ukraine, den Westen, die Nato. Es ist eine Wutrede, seine Stimme überschlägt sich fast, als er das Nachbarland praktisch als gescheiterten Staat darstellt - einen Staat, den es nach seiner Lesart ohne Moskau nicht geben würde und der sich in seiner Undankbarkeit vom Westen gegen Russland instrumentalisieren ließe.

Er endet mit einer direkten Warnung: "Von denen, die die Macht in Kiew ergriffen haben, fordern wir, die Kampfaktionen sofort einzustellen." Andernfalls sei das in der Ukraine "herrschende Regime" verantwortlich für "eine mögliche Fortsetzung des Blutvergießens". Das ließ schon deswegen nichts Gutes erahnen, weil der Kreml die Lage seit Wochen so darstellt, als plane die Ukraine einen Angriff auf die Separatistenrepubliken im Donbass. Tatsächlich ordnete Putin noch in der Nacht an, Truppen in die Ostukraine zu senden.

Der Westen lenkt die Ukraine, sagt Putin

In seiner Rede holt Putin weit aus, beginnt mit einem ausführlichen geschichtlichen Exkurs: Die "moderne Ukraine wurde ganz und vollständig von Russland geschaffen, genauer gesagt, vom bolschewistischen, kommunistischen Russland". Er hat früher schon Ähnliches geäußert, hat beschrieben, wie die Bolschewiki der Ukraine in den 1920er-Jahren angeblich russisches Territorium schenkten. Offenbar leitet er daraus das Recht ab, Kiews Loyalität gegenüber Moskau zu verlangen. Nun spricht Putin davon, dass der russische Revolutionsführer Lenin "Verfasser und Architekt" der Ukraine gewesen sei.

Wutrede: Bei der Unterzeichnung der Anerkennung der von Separatisten beherrschten Regionen Luhansk und Donezk sind am Montag auch deren beide Führer im Kreml zugegen.

Bei der Unterzeichnung der Anerkennung der von Separatisten beherrschten Regionen Luhansk und Donezk sind am Montag auch deren beide Führer im Kreml zugegen.

(Foto: Alexei Nikolsky/dpa)

Dann sagt er, an die Ukraine gewandt: "Ihr wollt eine Dekommunisierung? Wir sind nicht dagegen. Wir sind bereit zu zeigen, was eine echte Dekommunisierung ist." Es hört sich wie eine Drohung an.

Den zweiten Teil seiner Rede widmet er der Gegenwart und behauptet, die heutige Ukraine habe "nie eine eigene Staatlichkeit" besessen. Der russische Präsident hat schon öfter durchblicken lassen, dass er die ukrainische Regierung nicht für regierungsfähig hält. Nun reiht er erneut einen unbelegten Vorwurf an den nächsten: Kiew würde Moskau berauben, Gaslieferungen nicht bezahlen, Korruption zersetze "das ganze System, alle Machtzweige" im Nachbarland.

Putin behauptet nicht nur, dass der Westen 2014 die Proteste in der Ukraine bezahlt habe. Die Revolution von damals habe dem Land keine Demokratie gebracht, sondern es in eine wirtschaftliche und soziale Krise gestürzt. Dass vor allem der aus Moskau gesteuerte Krieg in der Ostukraine das Land destabilisiert hat, erwähnt er nicht. Er bezeichnet die Regierung in Kiew als "Marionettenregime" des Westens. Der lenke nicht nur alle wichtigen Personalentscheidungen in Kiew, sondern auch ukrainische Gerichte und staatliche Unternehmen wie den Energiekonzern Naftogaz.

Auffällig, wie wenig Putin über den Donbass selbst spricht

Und natürlich, behauptet Putin, nutze der Westen die Ukraine längst militärisch, die Nato habe bereits als Ausbildungsmissionen getarnte Stützpunkte im Land. "Die USA und die Nato haben schamlos begonnen, das Territorium der Ukraine als Schauplatz möglicher Kampfaktionen zu erschließen", behauptet Putin.

Einen Nato-Beitritt der Ukraine, der aus Nato-Sicht noch über Jahre nicht spruchreif sein wird, bezeichnet Putin nun als "eine ausgemachte Sache". Mit diesem Beitritt würde "die Gefahr eines plötzlichen Angriffs auf unser Land um ein Vielfaches zunehmen", warnt er die Fernsehzuschauer. Die Ukraine könnte mit westlicher Hilfe sogar bald Atommacht werden, behauptet Putin.

Wutrede: Mit Feuerwerk und russischen Flaggen feiern Separatisten in der Stadt Donezk, dass Wladimir Putin die ukrainische Region nun wie einen eigenen Staat behandeln will.

Mit Feuerwerk und russischen Flaggen feiern Separatisten in der Stadt Donezk, dass Wladimir Putin die ukrainische Region nun wie einen eigenen Staat behandeln will.

(Foto: Alexei Alexandrov/AP)

Auffällig ist, wie wenig Putin in seiner Rede über den Donbass selbst spricht - und über den angeblichen Genozid dort, von dem er während der gemeinsamen Pressekonferenz mit Bundeskanzler Olaf Scholz noch fabuliert hatte. Im Anschluss an die Rede unterzeichnete er zwar, wie erwartet, zwei Freundschaftsverträge mit den sogenannten "Volksrepubliken" Donezk und Luhansk, die längst aus Moskau kontrolliert werden. Wie weit Putin bereit ist zu gehen, ist nach seiner Rede aber immer noch beängstigend offen.

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