Ukraine:Verdächtiger Kohlehandel in der Ostukraine

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Der frühere ukrainische Präsident Petro Poroschenko ist zunächst ins Ausland geflohen, will aber zurückkehren. (Foto: Mikhail Palinchak/Ukrainian Presidential Press Service/Handout/REUTERS)

Präsident Selenskij will seinen Vorgänger Poroschenko hinter Gitter bringen - wegen angeblichen Hochverrats. Doch er verfolgt auch eigene Interessen.

Von Florian Hassel, Belgrad

Sollte auch in der ukrainischen Politik noch das Motto "Viel Feind, viel Ehr" gelten, kann Ex-Präsident Petro Poroschenko sich nicht über mangelnde Aufmerksamkeit beklagen: Mehr als 100 Ermittlungen und Strafverfahren sind nach Zählung seiner Partei Europäische Solidarität von den Behörden seines Nachfolgers Wolodimir Selenkskij gegen ihn angestrengt worden. Und es ist gut möglich, dass der ehemalige Präsident Platz in einer ukrainischen Gefängniszelle nehmen muss, sollte er seine Ankündigung wahr machen und am 17. Januar aus dem Ausland nach Kiew zurückkehren und damit einer Vorladung der Justiz folgen.

Seit gut einem Jahr ermitteln die Generalstaatsanwaltschaft der Ukraine, der Inlandsgeheimdienst SBU und ein neues nationales Ermittlungsbüro in einem angeblichen Fall von "Staatsverrat" und angeblicher Förderung von Terroristen: Diese sind in offizieller Version die von Moskau organisierten und gesteuerten Führer der Marionettenrepubliken DNR und LNR in den Regionen Donezk und Lugansk in der Ostukraine.

Nachdem Moskau dort im Sommer 2014 seinen Krieg begann und die Region unter seine Kontrolle brachte, hatte die Ukraine ein Problem: Viele Industriebetriebe und vor allem Kohlegruben lagen nun auf dem Gebiet der "Rebellen"; ukrainische Betriebe und Stromwerke hingen von dieser Kohle ab. In ihrer Not besorgte die Ukraine Kohle in Südafrika, Australien oder den USA - und weiterhin auch in der Ostukraine. Poroschenkos damaliger Darstellung zufolge wurde nur bei ukrainischen Staatsbetrieben eingekauft, die Dependancen in DNR und LNR hatten - und dabei sichergestellt, dass das Geld bei diesen Betrieben bleibe.

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Die Behörden allerdings haben eine andere Version vorgelegt: Ihr zufolge soll Kohleeinkauf im großen Maßstab vor allem vom eng mit dem Kreml verbundenen Oligarchen und Führer einer prorussischen Partei, Wiktor Medwedtschuk, organisiert worden sein - Präsident Putin ist der Pate seiner Tochter. Der Investigativdienst Bihus.info veröffentlichte Mitschnitte angeblicher Telefonate Medwedtschuks mit Dmitri Kosak, Vize-Chef der Kreml-Verwaltung. Der Kohle-Einkauf bei den "Rebellen" soll demnach von Medwedtschuk und Kosak abgesprochen und mit Poroschenko geklärt worden sein. Poroschenkos Ex-Vertrauter Oleksandr Onischenko behauptete schon 2016, ein enger Geschäftspartner Poroschenkos habe bei Kohlehandel 20 Dollar pro Tonne verdient.

Poroschenko will sich der Justiz stellen

Die Justiz machte aus dem Kohleeinkauf nun einen angeblichen Fall von Hochverrat. Medwedtschuk wurde schon offiziell beschuldigt; am 17. Dezember wollten Ermittler eine Verdachtserklärung und Vorladung zum Verhör Poroschenko persönlich übergeben. Doch der Ex-Präsident floh im Auto - und flog wenige Stunden später zu einer angeblichen lange geplanten Reise ins Ausland. Seitdem hat die Generalstaatsanwaltschaft Haftbefehl gegen Poroschenko und eine Kaution von umgerechnet gut 32 Millionen Euro gefordert; zudem fror ein Kiewer Gericht am 6. Januar Poroschenkos gesamtes Vermögen ein. Der Ex-Präsident selbst erklärte, er werde am 17. Januar aus dem Ausland nach Kiew zurückkehren. Poroschenko bestreitet wie Oligarch Medwedtschuk alle Vorwürfe.

Zweifelhafte Geschäfte bis hinauf in die Präsidialverwaltung sind in der Ukraine nicht selten, ob unter Poroschenko oder Nachfolger Selenskij. Der Präsident und sein Vorgänger sind sich in inniger Feindschaft verbunden. Selenskijs Beliebtheit ist seit seiner Wahl 2019 enorm gesunken, ebenso die seiner Partei Diener des Volkes. In aktuellen Umfragen erklärte die Hälfte der Ukrainer, sie misstraue Selenkskij oder empfinde ihn als "Enttäuschung des Jahres". Dem Kiewer Institut für Soziologie zufolge würde Selenskij eine Präsidentenwahl nur noch mit knappem Vorsprung gewinnen. Schlechter stünde es noch um seine Partei: Bei Parlamentswahlen wäre sie nur noch eine unter vielen, Poroschenkos Partei würde ihre Position womöglich sogar ausbauen.

Selenskij versucht, sich nach weitgehender Untätigkeit nun als angeblicher Kämpfer gegen die bei vielen Ukrainern verhassten Oligarchen zu profilieren. Zu diesen gehört auch Poroschenko, der unter anderem wegen seiner Schokoladenfabrik Roschen zumindest früher als Milliardär galt - die Firma überschrieb er nach Selenskijs Sieg im Herbst 2019 seinem ältesten Sohn. Die Behörden, die nun gegen Poroschenko vorgehen - Generalstaatsanwaltschaft, SBU und Ermittlerbüro - werden sämtlich von engen Vertrauten Selenskijs geführt und gelten nicht als unabhängig. Die Richterin, die am 6. Januar dem Antrag stattgab, das gesamte Vermögen des Ex-Präsidenten zu beschlagnahmen, soll Poroschenko-Vertretern zufolge bei ihrer Dissertation vom Vize-Chef der Präsidialverwaltung Selenskijs betreut worden sein.

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