Süddeutsche Zeitung

Ukraine:Oppositionsführer ruft zum Marsch aufs Parlament auf

Offiziell ist Viktor Juschtschenko der Verlierer der Präsidentenwahl - doch er hat sich zum Sieger erklärt. Der Versuch der Opposition, das Wahlergebnis annullieren zu lassen, ist unterdessen gescheitert.

Dem amtlichen Ergebnis zum Trotz hat sich der ukrainische Oppositionsführer Viktor Juschtschenko zum Sieger der Präsidentenwahl erklärt.

Juschtschenko erklärte, er habe einen überzeugenden Wahlsieg errungen. Die Opposition werde eine Kampagne des zivilen Ungehorsams starten und in einem gewaltfreien Kampf für die Anerkennung des wahren Ergebnisses streiten. Dabei bat er die internationale Staatengemeinschaft um Anerkennung und Unterstützung.

"Ich fordere Euch auf, organisiert und friedlich in Richtung Parlament zu gehen", sagte Juschtschenko vor mehr als 100.000 Anhängern. Die Demonstranten hatten sich am Morgen auf dem Platz der Unabhängigkeit versammelt. Zum Teil waren sie mit Bussen aus der Provinz angereist.

Insgesamt demonstrierten in Kiew etwa 200.000 Menschen für Juschtschenko und warfen der Regierung Wahlbetrug vor. Einige der Demonstranten schwenkten georgische Flaggen - in Anspielung auf die dortigen Massenproteste vor genau einem Jahr, die zum Sturz des georgischen Präsidenten Eduard Schewardnadse führten.

Auch in Lwiw (Lemberg) gingen mehrere 10.000 Menschen für Juschtschenko auf die Straße. Einer der größten Schokoladenhersteller der Ukraine kündigte an, seine Fabriken aus Protest gegen den Verlauf der Wahl für eine Woche zu schließen, wie die Nachrichtenagentur Unian meldete.

Sollten die Abgeordneten in der Sondersitzung nichts unternehmen, würden die Anhänger Juschtschenkos "Straßen und Flughäfen blockieren und Stadthallen besetzen", sagte eine Sprecherin.

Machthaber Janukowitsch rief dagegen im Fernsehen zur nationalen Einheit auf. "Ich werde nicht die Aktionen gewisser Politiker akzeptieren, die jetzt die Leute auf die Barrikaden rufen", sagte der umstrittene Wahlsieger.

Das Parlament trat zu einer Dringlichkeitssitzung zusammen, um über den Oppositionsantrag auf Annullierung des Wahlergebnisses zu beraten.

Auf der Tagesordnung stand außerdem ein Misstrauensantrag gegen die Wahlkommission. Das Parlament war jedoch nicht beschlussfähig, wegen des Boykotts der regierungsnahen Abgeordneten waren lediglich 191 der insgesamt 450 Mandatsträger anwesend. Für ein gültiges Votum ist eine einfache Mehrheit von 226 Stimmen notwendig.

Allerdings wäre das Votum ohnehin nicht bindend, weil nach der Verfassung nur der Präsident die Wahlkommission absetzen kann. Amtsinhaber Leonid Kutschma hat aber Janukowitsch unterstützt.

Die Abgeordneten der ukrainischen Opposition erklärten ihren Chef Juschtschenko trotzdem zum neuen Präsidenten.

"Wir appellieren an die Parlamente und Nationen der Welt, den Willen des ukrainischen Volkes und sein Streben nach einer Rückkehr zur Demokratie zu unterstützen", hieß es in der Erklärung, die Juschtschenkos Büro herausgab.

Die Wahlkommission hatte erklärt, Ministerpräsident Viktor Janukowitsch habe die Abstimmung vom Sonntag gewonnen. Die Angaben basierten auf der Auszählung von 99,48 Prozent der Stimmen, von denen laut Kommission 49,39 Prozent auf Janukowitsch und 46,71 Prozent auf Juschtschenko entfielen.

Während der russische Präsident Wladimir Putin Janukowitsch zum Wahlsieg gratulierte, wurden im Westen Sorgen über Betrug und massive Unregelmäßigkeiten bei der Abstimmung laut. Beobachter kritisierten, bei der Stichwahl am Sonntag habe es noch mehr Verstöße gegeben als bei der ersten Runde am 31. Oktober.

Bundesaußenminister Joschka Fischer forderte eine Neuauszählung der Stimmen und eine Überprüfung der Wählerlisten unter Kontrolle der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE). Der Bundestag wird sich an diesem Mittwoch mit der umstrittenen Präsidentenwahl in der Ukraine befassen. In Berlin wurde der ukrainische Botschafter in das Auswärtige Amt einbestellt. Damit wurde ein EU-Beschluss umgesetzt.

Am weitesten in seiner Kritik ging der Vorsitzende des außenpolitischen Ausschusses des US-Senats, Richard Lugar, der in Kiew von einem "konzertierten und energischen Programm des Betrugs und Missbrauchs am Wahltag" sprach. Er forderte den scheidenden Präsidenten Kutschma auf, "dies alles im besten Interesse des Landes zu überprüfen".

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