Süddeutsche Zeitung

Ukraine:Die Macht der Oligarchen ist ungebrochen

Bei Amtsantritt versprach Präsident Wolodimir Selenskij, die Ukraine zu reformieren. Doch noch immer behelligt die Justiz korrupte Unternehmer wie Rinat Achmetow kaum. Sie können unbesorgt schlafen.

Von Florian Hassel, Warschau

Die Detektive des Anti-Korruptions-Büros der Ukraine (Nabu) waren geschockt, als sie von der Entscheidung eines Staatsanwalts erfuhren. Drei Jahre hatten die Ermittler Material über einen mutmaßlichen gigantischen Skandal zusammengetragen: Ihren Recherchen zufolge hatte DTEK, eine Kohle- und Energieholding des ukrainischen Oligarchen Rinat Achmetow, in einer illegalen Absprache mit staatlichen Regulatoren eine Formel zum Kohlehandel entworfen, die ukrainische Verbraucher von 2016 bis 2019 um umgerechnet 1,4 Milliarden Dollar schädigte. Zwar bestritt DTEK alle Vorwürfe, doch interne E-Mails und Dokumente, die die Detektive der Kyiv Post zuspielten, zeichneten ein belastendes Bild.

Doch im August 2020 schien das alles plötzlich nicht mehr wichtig. Staatsanwalt Witalij Ponomarenko beendete überraschend alle Ermittlungen gegen Beamte und die Firma Achmetows, der mit einem geschätzten Vermögen von 7,6 Milliarden Dollar der reichste Mann der Ukraine ist. Seitdem geht es hin und her: Im Oktober befahl das neue Hohe Anti-Korruptions-Gericht dem Staatsanwalt, die Ermittlungen wiederaufzunehmen, der stellte seine Arbeit an dem Fall am 21. Januar aber schon wieder ein. Eine Entscheidung, die wiederum als rechtswidrig aufgehoben wurde. Dass nun ernsthaft ermittelt wird: eher unwahrscheinlich.

Das Vorgehen im Fall DTEK-Achmetow ist nur ein Beispiel dafür, dass die ukrainischen Oligarchen dem Zugriff der Justiz nach wie vor entzogen sind. Die Oligarchen - neben Achmetow zählen zu ihnen etwa Ihor Kolomoiskij, Wiktor Pintschuk, Dmitro Firtasch, Serhij Lewotschkin und Ex-Präsident Petro Poroschenko - kontrollieren große Teile der Wirtschaft und über eigene Sender 70 Prozent des meinungsmachenden Fernsehmarktes. Im Parlament vertreten nach einer Abstimmanalyse des Investigativdienstes Bihus zufolge rund 100 Abgeordnete die Interessen Achmetows. Im Sinne Kolomoiskijs stimmen nach Recherchen von Bihus rund 70 Abgeordnete. Kritikern zufolge verhindert die Macht der Oligarchen seit Jahrzehnten fast alle wichtigen Reformen im Land.

Der Reformer Serhij Werlanow gehörte zu denjenigen, die 2019 zu Beginn der Präsidentschaft von Wolodimir Selenskij an einen neuen Anfang für die Ukraine glaubten. Werlanow wurde im Reformerkabinett von Ministerpräsident Oleksij Hontscharuk Chef des Steuerdienstes, einer zentralisierten Behörde, die in ihrer Bedeutung dem Finanzministerium Konkurrenz macht. Vergeblich hätten die Reformer versucht, das korrupte, zum Nutzen der Oligarchen arbeitende System zu ändern, schilderte Werlanow Ende Februar im einflussreichen Ukraine-Infodienst des Washingtoner Atlantic Council.

Der Reform-Präsident dreht nun Reformen zurück

Die Oligarchen übten ihren Einfluss durch "korrupte Parlamentarier, Regierungsmitglieder, Justizoffiziere und Richter" aus. "Ganze Gruppen hochrangiger Beamter bekommen illegale Einkommen für ihre Zusammenarbeit mit den Oligarchen." Anfang März 2020 feuerte Selenskij die Regierung Hontscharuk, diesem zufolge ebenfalls nach Beschwerden des Oligarchen Kolomoiskij. Ex-Reformer Werlanow hat seitdem keinen Willen Selenskijs mehr gesehen, das korrupte System aufzubrechen. Stattdessen habe der Präsident sogar noch Reformen zurückgedreht und etwa offene Wettbewerbe für Regierungspositionen abgeschafft. "In den letzten acht Monaten ist das Land um acht Jahre zurückgefallen", so Werlanow bitter.

Zwar ging Selenskij Anfang Februar gegen den russlandfreundlichen Oligarchen Wiktor Medwedtschuk vor, ein Freund des russischen Präsidenten Wladimir Putin, mit eigener Partei und ihm nahestehenden Fernsehsendern seit Jahren ein Apologet Russlands. Selenskij schloss die Sender, die offiziell einem Parteifreund Medwedtschuks gehören, und fror sein Vermögen ein. Analysten zufolge wollte Selenskij so aber vor allem auch einen politischen Konkurrenten ausschalten: Die schon jetzt mit 44 Abgeordneten im Parlament vertretene "Oppositionsplattform - Für das Leben" von Medwedtschuk schoss in Umfragen zuletzt nach oben und steht nur noch knapp hinter der Selenskij-Partei, den "Dienern des Volkes".

Andere Oligarchen aber können unbesorgt weiterschlafen. Ex-Parlamentarier Serhij Leschtschenko ist Aufsichtsrat der ukrainischen Eisenbahnen und beschrieb, dass Firmen von Oligarch Achmetow etwa für den Transport von Eisenerz Preise bezahlen, die zweieinhalb Mal niedriger sind als im benachbarten Polen und viereinhalb Mal niedriger als in der Slowakei. Jeder Transport des Eisenerzes bringe der Eisenbahn einen satten Verlust.

Doch Versuche, das noch aus Sowjetzeiten stammende System zu ändern und die Preise zu erhöhen, werden Leschtschenko zufolge seit Jahren von Achmetows Alliierten in Regulierungsbehörden, Parlament und Regierung verhindert. Das Geld, das der Milliardär Achmetow in der Ukraine verdient, einem der ärmsten Länder Europas, legt er gern im Ausland an: 220 Millionen Dollar für ein Apartment am Londoner Hyde Park, 200 Millionen Euro für eine Villa an der Côte d'Azur. Im Dezember 2020 kaufte Achmetows 32 Jahre alter Sohn Damir für 60 Millionen Schweizer Franken eine Villa am Genfer See, so Recherchen Leschtschenkos.

Der US-Außenminister nennt den Oligarchen "eine ernsthafte Gefahr für die Ukraine"

Oligarch Kolomoiskij verhalf Selenskij 2019 mithilfe etwa seiner Medien mit ins Präsidentenamt. Der Milliardär steht im Zentrum etlicher Skandale. Der größte: Kolomoiskij und sein Geschäftspartner Gennadij Bogoljubow sollen die früher ihnen gehörende Privat Bank um umgerechnet mehr als fünf Milliarden Dollar ausgeplündert haben. In der Ukraine und anderen Ländern sammelten die Ende 2016 verstaatliche Privat Bank, Detektive des Anti-Korruptionsbüros Nabu und der Finanzagentur Kroll kistenweise Belege für den Milliardenbetrug - den Kolomoiskij und Bogoljubow bestreiten.

In London und Genf, auf Zypern, in Israel und den USA hat die Privat Bank Kolomoiskij und Bogoljubow verklagt. In den USA beschlagnahmten US-Fahnder schon lange vor dem Sanktionsbeschluss des US-Außenministers im Sommer 2020 Immobilien der Oligarchen, die dem US-Justizministerium zufolge mit unterschlagenen Millionen gekauft worden waren. In Washington verkündete US-Außenminister Antony Blinken am 5. März wegen Kolomoiskijs "Beteiligung an bedeutender Korruption" Sanktionen gegen den Oligarchen und nannte ihn wegen seiner "gegenwärtigen und fortdauernden Versuche, demokratische Prozesse und Institutionen der Ukraine zu unterminieren", eine "ernsthafte Gefahr für die Ukraine". In der Ukraine selbst aber läuft bis heute kein einziger Strafprozess gegen Kolomoiskij und Bogoljubow, gibt es keine Anklage, ja noch nicht einmal die in der Ukraine zuvor notwendige Verdachtsmitteilung.

Zum Stillstand bei der Justiz hat auch Präsident Selenskij beigetragen. Zu Beginn seiner Amtszeit wurde der Reformer Ruslan Rjaboschapka Generalstaatsanwalt. Anfang 2020 stand Rjaboschapka kurz davor, gegen Kolomoiskij und Bogoljubow vorzugehen - und wurde von Selenskij und dem Parlament kurzerhand gefeuert. Seine Nachfolgerin wurde Irina Wenediktowa, zuvor Mitarbeiterin in Selenskijs Wahlkampfstab.

Als Generalstaatsanwältin traf Wenediktowa etliche fragwürdige Entscheidungen, die etwa Ermittlungen gegen der Korruption verdächtige hohe Mitarbeiter Selenskijs verhindern. Auch eine Strafverfolgung gegen Kolomoiskij und Bogoljubow ist weiter nicht in Sicht. Am 18. Februar behauptete Wenediktowa im Parlament, es müsse überhaupt erst eine Untersuchung über die Verluste bei der Privat Bank erstellt werden. Tatsächlich liegen derlei Untersuchungen seit Jahren vor. Für Schlagzeilen sorgt so nicht das Vorgehen gegen die Oligarchen, sondern der Geburtstag des Präsidenten: Den feierte Selenskij am 29. Januar in der Wohnung eines engen Geschäftspartners Kolomoiskijs nach. Entgegen gültiger Corona-Bestimmungen mit gut 30 Gästen.

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