Nato-Sondergipfel:Mehr Kampfkraft im Osten

Nato-Sondergipfel: Sehen sich am Donnerstag in Brüssel wieder: US-Präsident Biden (l.) und Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg.

Sehen sich am Donnerstag in Brüssel wieder: US-Präsident Biden (l.) und Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg.

(Foto: Patrick Semansky/AP)

Was vom Sondergipfel der Nato-Mitgliedstaaten und dem Europabesuch des US-Präsidenten zu erwarten ist.

Von Matthias Kolb, Brüssel

Joe Biden, der am Mittwochabend in Brüssel angekommen ist, hat die Ziele seines Europabesuchs klar definiert. Es gehe dem US-Präsidenten darum, "dem ukrainischen Volk zu helfen, sich zu verteidigen, die Kosten für Russland durchzusetzen und zu erhöhen sowie die westliche Allianz zu bekräftigen", sagte Sicherheitsberater Jake Sullivan vor Bidens Abflug. Über Russlands Angriff auf die Ukraine, das alles dominierende Thema der viertägigen Reise, sagte Sullivan: Dieser Krieg werde "weder schnell noch leicht" enden.

Biden will zunächst am Sondergipfel der 30 Nato-Mitglieder teilnehmen, auf den ein Treffen der G-7-Gruppe der wichtigsten Industriestaaten folgt. Am frühen Abend wird der 79-Jährige beim regulären EU-Gipfel zu den Staats- und Regierungschefs sprechen. Laut Sullivan soll in Brüssel die "nächste Phase" der militärischen Unterstützung für Kiew eingeleitet und "ein weiteres Sanktionspaket" gegen Russland angekündigt werden. Er deutete an, die beschlossenen Maßnahmen sollten so verschärft werden, dass Moskau sie möglichst nicht umgehen kann.

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Das Schließen von "Schlupflöchern" erklären auch Vertreter von EU-Kommission sowie nahezu aller Mitgliedstaaten zu ihrer Priorität. Brisanter ist angesichts der hohen Abhängigkeit von russischer Energie, in die sich etwa Deutschland begeben hat, die Debatte über ein Öl- und Gasembargo gegen Russland. Diese Forderung des ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenskij, die von Polen und Balten unterstützt wird, lehnt Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) weiter ab. Im Entwurf für die Schlussfolgerungen des EU-Gipfels heißt es bisher, man sei "weiter bereit, schnell mit weiteren koordinierten Sanktionen zu reagieren".

Am Mittwoch bestätigte Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg, dass Selenskij per Videobotschaft zu Biden, Scholz und den anderen 28 Staats- und Regierungschefs sprechen wird. Er äußerte die Erwartung, dass der Gipfel eine weitere Verstärkung der Nato-Ostflanke beschließen wird. Um Russland abzuschrecken, sollen in der Slowakei, Ungarn, Rumänien und Bulgarien vier neue Kampfverbände stationiert werden. Bisher hatte die Allianz solche multinationalen Battlegroups dauerhaft in Polen sowie den baltischen Staaten stationiert. Deren übliche Größe von etwa 1000 Soldaten war zuletzt deutlich erhöht worden. Die Bundeswehr stellt das größte Kontingent der Battlegroup in Litauen und soll auch in der Slowakei die Führungsrolle übernehmen.

Die von Polen angeregte Nato-Friedensmission sieht Stoltenberg kritisch

Stoltenberg rief Russlands Präsident Wladimir Putin auf, den Krieg zu stoppen, Hilfslieferungen für Zivilisten zu ermöglichen und sich an "echter Diplomatie" zu beteiligen. Die Ukraine könne weiter auf die Nato zählen, sagte er und verwies darauf, dass ihre Mitglieder dem Land Drohnen, Munition, Benzin sowie Luft- und Panzerabwehrsysteme geliefert und nun auch Millionen Flüchtlinge aufgenommen hätten. Die Forderung, dass Nato-Mitglieder eine Flugverbotszone über der Ukraine durchsetzen, lehnte Stoltenberg zum wiederholten Mal ab: "Wir haben eine Verantwortung dafür zu sorgen, dass dieser Krieg nicht über die Ukraine hinaus eskaliert und zu einem Konflikt zwischen Russland und der Nato wird." Er äußerte sich auch kritisch über die Idee einer Nato-Friedensmission, die Polen angeregt hatte und für die Premier Mateusz Morawiecki beim Sondergipfel werben will.

Der Generalsekretär machte außerdem klar, dass die 30 Mitglieder auch über die Rolle Chinas im russischen Angriffskrieg sprechen werden. Peking unterstütze Moskau politisch und verbreite "offene Lügen" über den Konflikt. Die Volksrepublik solle keinesfalls Russland "materielle Unterstützung" für den Krieg geben, sondern "wie der Rest der Welt" Moskau zu einem sofortigen Ende des Krieges aufrufen. Stoltenberg betonte, dass das Bündnis weiter geschlossen sei und alles tun werde, um das Territorium ihrer Mitglieder zu schützen. So befänden sich aktuell 100 000 US-Soldaten in Europa und weitere Hunderttausend Soldaten seien in erhöhter Alarmbereitschaft. Mehr als 130 Flugzeuge würden aktuell den Luftraum überwachen, außerdem seien im Mittelmeer und im hohen Norden fünf Flugzeugträger im Einsatz.

Offenbar sieht man in der Nato-Zentrale jedoch derzeit keine Anzeichen für eine Bedrohung des Bündnisgebiets durch Russland. Das zeigt sich darin, dass die Übung "Cold Response" wie geplant durchgeführt wird. Nach dem Sondergipfel wird Stoltenberg das Manöver in Norwegen besuchen, an dem auch Soldaten der Nato Response Force (NRF) teilnehmen. Diese schnelle Einsatztruppe der Nato wurde wegen des russischen Angriffs zwar teilweise nach Osteuropa verlegt, doch Teile der NRF werden nun im hohen Norden die Verteidigung des Bündnisgebiets üben.

Auf die Frage, ob er bereit sei, ein Jahr länger Nato-Generalsekretär zu bleiben, statt Anfang Oktober als Chef der Zentralbank nach Norwegen zurückzukehren, sagte Stoltenberg: "Ich konzentriere mich darauf, diesen Gipfel vorzubereiten. Alle anderen Entscheidungen überlasse ich den 30 Alliierten." Der 63-jährige Norweger Stoltenberg führt die Nato seit 2014 und genießt weiter das Vertrauen der Mitgliedstaaten. Für eine dritte Verlängerung seiner Amtszeit spricht, dass sich laut Diplomaten für seine Nachfolge weder eine Favoritin noch ein Favorit abzeichnet - und es nicht die Zeit für Experimente ist.

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