Ukraine nach dem Krim-Referendum:Machtlos gegen Putin

Members of a 'Maidan' self-defense battalion take part in a training at a Ukrainian Interior Ministry base near Kiev

Rekruten des "Maidan-Selbstverteidigungbataillons" bei einer Militärübung in der Nähe der Hauptstadt Kiew

(Foto: REUTERS)

Im Grunde weiß jeder, dass die Regierung in Kiew gegen Russland wenig ausrichten kann. Trotzdem mobilisiert die Ukraine, was mobilisiert werden kann. Der Militärhaushalt wird um 600 Millionen Dollar aufgestockt, 20 000 Reservisten sollen einberufen und die kürzlich gegründete Nationalgarde verstärkt werden. Moskau reagiert mit vergifteten Ratschlägen.

Von Cathrin Kahlweit

Vitali Klitschko kommt eine Dreiviertelstunde zu spät, aber Klitschko kommt eigentlich immer zu spät. Zu viele Meetings, zu viel Stress. Er ist jetzt nicht nur Udar-Parteichef und Abgeordneter, sondern auch noch Präsidentschaftskandidat für die Wahl am 25. Mai.

Am Tag eins nach dem Referendum, das in Kiew nur "Pseudo-Referendum", "ferngesteuertes Votum" oder "Farce" genannt wird, sind es noch ein paar Meetings mehr als sonst. Die Abgeordneten, die Parteichefs, die Regierungsmitglieder müssen eine Haltung, eine Sprachregelung, eine Strategie finden für eine historische Entwicklung, die fast jeder Ukrainer als Katastrophe empfindet.

Klitschko steht also mit einem Zettel vor Journalisten aus aller Welt. Darauf hat er eine Menge Forderungen an die internationale Gemeinschaft und Szenarien für den Umgang mit den Separatisten auf der Krim formuliert. Die Journalisten wollen wissen, wie es nun weitergeht: auf der Krim, im unruhigen Osten, in der Hauptstadt. Das zu erklären, ist allerdings eine fast unlösbare Aufgabe, wenn die wichtigsten Spieler nicht in Kiew, sondern in Brüssel, Washington und vor allem in Moskau sitzen.

Die Politiker tun, als gebe es ein "Weiter so"

Klitschko spricht mehr als einmal von einer "fremden Macht" in einem "benachbarten Land", in dem "alle wesentlichen Entscheidungen" fielen. Er scheut sich, präziser zu werden - so wie in den Harry-Potter-Romanen, in denen der böse Lord Voldemort immer nur als der Mann bezeichnet wird, der "nicht genannt werden darf" - the one who must not be named.

Vor Klitschko hatte schon der Verteidigungsminister im Pressezentrum mit dem traurigen Namen "Ukrainische Krise" gesprochen, nach ihm ist der Justizminister dran. Und während draußen vor der Tür, auf dem Maidan, die Depression fast physisch zu spüren ist, während dort die obligatorischen "Ruhm-der-Ukraine"-Rufe verhallen und die einst ebenso obligatorische Antwort "Ruhm den Helden" immer öfter ausbleibt, tun die Politiker so, als hätten sie eine Antwort auf die Katastrophe. Und als könnte man, in Maßen zumindest, so tun, als gebe es ein "Weiter so".

Auf der Krim, in einem besetzten Land, wolle niemand Urlaub machen

Klitschko jedenfalls - aber auch Verteidigungsminister Igor Tenjuch sowie Justizminister Pawlo Petrenko - verkünden immer wieder, das Referendum sei illegal. Die Krim sei und bleibe Teil der Ukraine. Die Truppen, die seit Wochen in ihren Kasernen von russischen Bewachern umstellt waren, sollen dort ausharren. Man werde auch Strom und Wasser für die Halbinsel (beides kommt zu etwa 80 Prozent aus der Ukraine) nicht abstellen, denn das träfe ja vor allem Ukrainer. Ohnehin bestehe die Gefahr des ökonomischen Niedergangs, weil sicher kaum jemand noch Urlaub machen wolle auf der Krim, umgeben von Soldaten, in einem besetzten Land.

Im Osten wolle man zwar Provokateure aus Russland abfangen und Separatisten bestrafen, aber wenn die Unruhestifter, die von außen kämen, abgedrängt oder abgefangen worden seien, dann werde wieder Ruhe einkehren. Ab und zu fallen Sätze, die von einem "danach" ausgehen. Zum Beispiel: "Wenn wir das Territorium zurückerhalten haben". Oder: "Russland sorgt durch sein Vorgehen dafür, dass sich die Ukraine als Nation vereint."

Machtlos gegen einen Feind, der sich lange nicht zu erkennen gab

Zu schön, um wahr zu sein? Offenbar, denn gleichzeitig wird mobilisiert, was mobilisiert werden kann. Tenjuch, ein erfahrener Militär mit kantigem Schädel, der seine Orden mit erkennbarem Stolz trägt, kommt gerade aus dem Parlament, wo die Teilmobilisierung der Armee beschlossen worden ist; außerdem sollen mehr als 600 Millionen Dollar zusätzlich in den Militärhaushalt fließen. 20 000 Reservisten sollen einberufen, die kürzlich gegründete Nationalgarde soll verstärkt werden. Man werde so schnell wie möglich alles tun, um die Armee besser auszustatten und die Gefechtsbereitschaft zu erhöhen.

"Die Krim ist unser Territorium", sagt der Minister, "und wir hoffen immer noch auf eine friedliche Lösung. Aber wenn nötig, wird die Armee ihre Aufgabe erfüllen." Und der Justizminister sagt in martialischem Ton: "Wir müssen jetzt unsere Armee stärken, denn sonst werden wir bald eine fremde Armee auf unserem Territorium ernähren müssen."

Im Grunde aber, das weiß hier jeder, ist die Regierung machtlos gegen einen Feind, der sich offiziell lange nicht zu erkennen gab. Wladimir Putin beharrte schließlich darauf, man könne die Uniformen der Besatzer in "jedem Kaufhaus" kaufen. Andererseits tat die Duma in Moskau alles, was in ihrer Macht stand, um den Anschluss schnellstmöglich zu erledigen, und die russischen Geheimdienste dürften an dem Szenario auf der Krim auch eifrig mitgeschrieben haben.

Kompensationen für jene, die die Krim verlassen müssen

In Kiew halten zwar einige Kabinettsmitglieder bis heute an der Hoffnung fest, dass Putin sich mit der konkreten Umsetzung der Annexion Zeit lassen werde, weil er sich mit überstürzten Aktionen nur neue Probleme schaffe - aber die Ankündigung, der russische Präsident wolle schon am heutigen Dienstag vor beiden Kammern des Parlaments zur Krim-Krise sprechen, hat auch moderaten Optimisten den Wind aus den Segeln genommen.

Nun hofft man, dass die Russen auf der Krim nicht noch mehr Schaden anrichten, die ukrainische Minderheit in Ruhe lassen und die ukrainische Sprache in Schulen und Universitäten weiter erlauben, dass sie nicht auch noch privates Eigentum beschlagnahmen. Am Montag hatte die Krim-Regierung ukrainische Energiekonzerne verstaatlicht. Man plane, sagt Klitschko besorgt, Kompensationen für jene, die die Halbinsel verlassen müssten.

Als besonders infam wird es in Kiew betrachtet, dass Russland jetzt vorschlägt, die Ukraine solle sich eine neue Verfassung geben, in welcher der Föderalismus gestärkt und die Autonomie der Regionen und Ethnien ausgeweitet werden - nach dem Motto: Ein väterlicher Freund erteilt einen guten Rat. Ob denn, fragen sie in der ukrainischen Hauptstadt, Putin irgendeinen seiner Ratschläge selbst befolgen würde? Er, der doch das Land mit eiserner Hand regiere, jede separatistische Strömung - siehe Tschetschenien - mit Gewalt unterdrücke, der ethnische Spannungen zum Beispiel mit den Zentralasiaten, die in Russland leben und arbeiten, eher zum eigenen Vorteil ausnutze, als sie zu unterbinden?

Tatsächlich könnte eine föderalere Verfassung einige Probleme im Land lösen. Aber nach den Wirren der vergangenen Monate sehnen sich viele Ukrainer nach einer starken Regierung. Da könnte ein Vorschlag, die Zentralmacht zu schwächen und die Regionen zu stärken, leicht als unpatriotisch gelten.

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