Ukraine:Machtkampf ums Parlament

Ukraine - Der designierte Präsident Wolodimir Selenskij

Wolodimir Selenskijs Partei heißt "Diener des Volkes" - er selbst scheint nach Ansicht von Kritikern jedoch auch Magnaten zu Diensten zu sein.

(Foto: SERGEI SUPINSKY/AFP)

Die Abgeordneten wollen mit einem Kniff verhindern, dass der neue Präsident Selenskij vorzeitig neu wählen lässt.

Von Florian Hassel, Warschau

Das ukrainische Parlament versucht den kommenden Präsidenten Wolodimir Selenskij daran zu hindern, eine vorzeitige Parlamentswahl anzusetzen und seine Macht auszuweiten. Selenskij wird am Montag als Präsident vereidigt, sein Sprecher Dimirto Rasumkow kündigte am Freitag an, Selenskij wolle die Rada vorzeitig auflösen. Ein neues Parlament (Rada) würde dann bereits Ende Juli statt wie vorgesehen am 27. Oktober gewählt.

Selenskijs Partei "Diener des Volkes" liegt in Umfragen bei Wählern, die sich bereits entschieden haben, bei 40 Prozent. Sie könnte die Popularität des frischgewählten Präsidenten nutzen, um eine eigenständige Regierungsmehrheit im neuen Parlament zu erringen. Dies will die noch amtierende Rada verhindern, die von der Fraktion von Noch-Präsident Petro Poroschenko und anderen Parteien dominiert wird, die bei vielen Ukrainern zutiefst unbeliebt sind. Etliche Abgeordnete fürchten deshalb, nicht wiedergewählt zu werden.

Formelle Grundlage für eine vorzeitige Auflösung des Parlaments wäre, wenn Präsident Selenskij feststellen würde, dass die 2014 gebildete Regierungskoalition im Parlament nicht mehr existiert. In der Tat sind aus der ursprünglichen Koalition (der Fraktionen Wahlblock Petro Poroschenko, Volksfront, Selbsthilfe, Radikale Partei und Vaterlandspartei) bereits früher drei Fraktionen (Vaterland, Selbsthilfe, Radikale Partei) ausgetreten. Die verbleibende Zwei-Parteien-Koalition aus dem Poroschenko-Wahlblock und der Volksfront suchte sich im 450 Köpfe zählenden Parlament weitere Stimmen zusammen, je nach Gesetz. Nach einer Auflösung des Parlaments würde innerhalb von 60 Tagen vorzeitig neu gewählt.

Das Parlament versucht dies nun mit einem Kniff zu verhindern. Am Freitag kündigte auch die Volksfront ihren Austritt aus der Koalition mit dem Poroschenko-Wahlblock an. Daraufhin erklärte der zum Poroschenko-Wahlblock gehörende Parlamentspräsident Andrij Parubij die Regierungskoalition formell für aufgelöst und rief zu Gesprächen zur Bildung einer neuen Regierungskoalition auf: Diese Gespräche können bis zu 30 Tage dauern, während der der Präsident das Parlament nicht auflösen darf - so die Lesart des Parlaments.

Doch die entsprechenden Artikel 77, 83, 90 und 106 der ukrainischen Verfassung kann man unterschiedlich auslegen. Der neue Präsident könnte befinden, dass die Regierungskoalition schon lange vor der formellen Erklärung vom Freitag beendet wurde, er also zur Auflösung berechtigt sei. Entsprechend hatte sich bereits vor einigen Tagen ein hoher Richter eines Kiewer Gerichts geäußert. "Heute hat eine der Fraktionen in der Rada erklärt, sie trete aus der `Koalition`aus. Doch wie kann man aus etwas austreten, was es nicht gibt?", erklärte Selenskijs Pressedienst. "Faktisch existiert die Koalition schon seit drei Jahren nicht mehr - seit die Fraktionen Selbsthilfe, Vaterland und die Radikale Partei sie verlassen haben." Die Frage, was der designierte Präsident nach seiner Vereidigung tun will, blieb indes ohne Antwort.

Erklärt der neue Präsident die Rada für aufgelöst, würde - wie oft zuvor bei Streit zwischen Parlament und Präsident - letztlich das ukrainische Verfassungsgericht entscheiden. Dieses gilt bisher als überwiegend von Poroschenko kontrolliert. Zudem wurde Verfassungsgerichtspräsident Stanislaw Schewtschuk, der auf den kommenden Präsidenten Selenskij zu setzen schien, am Dienstag handstreichartig abgesetzt. Seine Nachfolgerin Natalia Schaptala gilt nicht als politisch unabhängig; sie gehört zu drei Verfassungsrichtern, gegen die wegen des Verdachts auf Amtsmissbrauch zugunsten des damaligen Präsidenten Viktor Janukowitsch ermittelt wird. Schaptala wird Präsident Selenskij am Montag den Amtseid abnehmen - und könnte später gegen den neuen Präsidenten entscheiden.

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