Krieg in der Ukraine:Zu viele tote Helden

Krieg in der Ukraine: Zwei Soldaten werden auf dem Lytschakiwski-Friedhof beerdigt. Gefallenen der Kämpfe um die ukrainische Unabhängigkeit soll mit dem Begräbnis auf diesem besonderen Friedhof eine besondere Ehre zuteilwerden, doch jetzt ist der Platz ausgegangen.

Zwei Soldaten werden auf dem Lytschakiwski-Friedhof beerdigt. Gefallenen der Kämpfe um die ukrainische Unabhängigkeit soll mit dem Begräbnis auf diesem besonderen Friedhof eine besondere Ehre zuteilwerden, doch jetzt ist der Platz ausgegangen.

(Foto: Dan Kitwood/Getty Images)

Der Lytschakiwski-Friedhof in Lwiw beherbergt mehr als 300 Jahre ukrainischer Geschichte. Wegen der vielen Gefallenen geht dort jetzt der Platz aus.

Von Jan Heidtmann, Kiew

Taras Bobanitsch wurden alle Ehren zuteil. Fast jedenfalls. Er war am 8. April gefallen, zu seiner Gedenkfeier in der Sankt-Georgs-Kathedrale von Lwiw kamen bestimmt 100 Trauernde. Der Bürgermeister der Stadt, Andrij Sadowyj, sprach einige Worte; später, am Grab, wurde Bobanitsch unter Salutschüssen der Kameraden in die Erde gelassen. Es war ein würdiger Abschied für den 33-Jährigen - nur dass er nicht auf dem Lytschakiwski-Friedhof selbst untergebracht werden konnte, sondern auf einem Feld daneben. Wegen der vielen Gefallenen seit Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine gibt es auf Lwiws ruhmreicher Gräberstelle schlicht keinen Platz mehr.

Der Lytschakiwski-Friedhof im gleichnamigen Bezirk der größten Stadt im Westen der Ukraine wird mit dem Père-Lachaise in Paris verglichen. Um die 400 000 Menschen sind hier begraben, darunter viele Geistesgrößen, Politiker und Militärs, die die Westukraine und auch das gesamte Land geprägt haben. Der Dichter und Aktivist Iwan Franko zum Beispiel oder der Publizist Wolodymyr Barwinskyj.

Das erste Grab stammt aus dem Jahr 1675, das macht die hügelige Anlage zu einem morbiden Panoptikum der bewegten Geschichte dieser Region. Auf den oft aufwendig gestalteten Stätten finden sich Inschriften auf Polnisch, Deutsch, Armenisch oder Russisch. In groß angelegten, eigenen Bereichen ehren Polen und Österreicher ihre Soldaten, die in den vielen gewalttätigen Konflikten umgekommen sind. Selbst amerikanische Piloten aus dem Ersten Weltkrieg werden hier gewürdigt.

Die Ausweichlösung ist historisch gesehen etwas kompliziert

1991 wurde der Lytschakiwski-Friedhof zum Museum erklärt. Seitdem kann hier eigentlich nur noch ein Toter untergebracht werden, wenn seine Familie bereits über eine gemeinsame Grabstätte verfügt. Ausnahmen gibt es auch für Soldaten. Gerade die Gefallenen der kriegerischen Auseinandersetzungen mit den Russen und deren Verbündeten seit 2014 zählen zu den Würdenträgern des Landes, selbst wenn sie wie Bobanitsch rechtsradikalen Verbänden angehörten. So prangen in Kiew an der Außenwand des prominenten Michaelsklosters schier endlose Reihen mit Fotos der getöteten Soldaten seit der Annexion der Krim. Auf dem Lwiwer Lytschakiwski-Friedhof wiederum werden die Gefallenen der Kämpfe um die ukrainische Unabhängigkeit in einem eigenen Bereich begraben. Beginnend im Jahr 2000 sind die Gräber in einem Kreis um eine Kapelle herum angelegt.

Etwas mehr als 30 Tote konnten hier seit dem Beginn der russischen Invasion am 24. Februar bestattet werden, für mehr reichte der Platz nicht mehr. Deshalb musste die Stadt nun auf das offene Feld direkt neben dem Lytschakiwski-Friedhof ausweichen. Fast zwei Dutzend Gräber sind hier inzwischen angelegt, es sind schlichte Stätten mit einem einfachen Kreuz. Angehörige haben die Erdhügel darauf mit Blumen bedeckt.

Bei der Friedhofsverwaltung kann bisher niemand sagen, wie es mit dem Provisorium weitergehen wird. Eine Möglichkeit sei, dass der Friedhof einfach erweitert werde. Oder es werde doch noch irgendwie Platz im Innern der Mauern geschaffen. Die Entscheidung darüber hänge auch davon ab, wie viele Lwiwer noch fallen werden. Das Feld neben den Mauern ist jedenfalls auch historisch gesehen eine etwas komplizierte Lösung: Einst stand hier ein Denkmal zu Ehren der sowjetischen Armee und des sowjetischen Sicherheitsdienstes. Auf den übrig gebliebenen Steinplatten werden auch viele tote Russen geehrt.

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