Propaganda Ukraine-Krieg:Hunger als Waffe

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Ein zerstörtes Lagerhaus für Weizen im ukrainischen Ort Kopyliw - 45 Kilometer entfernt von der Hauptstadt Kiew. (Foto: Dogukan Keskinkilic)

Der Kreml macht Europa und seine Verbündeten dafür verantwortlich, dass Lebensmittel knapper und teurer werden. In Afrika und Lateinamerika glauben viele dieses Narrativ. Die EU will nun stärker gegen solche Lügen vorgehen.

Von Matthias Kolb, Brüssel

Charles Michel ist bekannt und bei EU-Diplomaten gefürchtet für seine gute Laune. Die ist sicher hilfreich, um als EU-Ratspräsident zwischen 27 Regierungen zu vermitteln, doch Michels Dauer-Optimismus führt dazu, dass selbst klare Ansagen meist untergehen. Anders war dies beim Auftritt am Montag im UN-Sicherheitsrat in New York. "Der Kreml nutzt die Versorgung mit Nahrungsmitteln als verdeckte Waffe", rief Michel in Richtung des russischen UN-Botschafters Wassili Nebensja und warf Moskau vor, ukrainischen Weizen zu stehlen und den Export von Getreide über den Hafen in Odessa zu verhindern. Als Nebensja unter Protest nach draußen stürmte, rief der Belgier: "Sie können den Raum verlassen, lieber Herr Botschafter, vielleicht ist es einfacher, der Wahrheit nicht zuzuhören."

Zuvor hatte Michel die Strategie des Kreml, andere für die gestiegenen Lebensmittelpreise und drohende Hungersnot verantwortlich zu machen, als "feige" und "Propaganda" bezeichnet. "Die EU hat keine Sanktionen gegen den russischen Agrarsektor erlassen, null", rief Michel. Er verwies darauf, dass auch die Strafen gegen Russlands Transportsektor keineswegs Lieferungen von Dünge- oder Nahrungsmitteln in andere Regionen verhindern würden.

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Michels Auftritt überdeckt jedoch nicht, dass die Europäer mit ihren Verbündeten wie den USA oder Japan in weiten Teilen der Welt nicht durchdringen. In Lateinamerika, Südostasien oder auf dem afrikanischen Kontinent sehen viele Michels "Wahrheit" wie Russlands Diplomat Nebensja, nämlich als "Lügen". Verantwortlich für die Probleme seien EU und Nato. Dies beschäftigt viele in Brüssel, allen voran den EU-Außenbeauftragten Josep Borrell. "Wir kämpfen nicht genug, wir stehen zwar auf dem Schlachtfeld, aber wir sollten auf dem Feld der Ideen angriffslustiger und präsenter sein", sagte er der Süddeutschen Zeitung.

Borrell warnte bereits während der Pandemie vor einem "Kampf der Narrative"

Borrell hatte bereits in der Pandemie gewarnt, dass der Westen den "globalen Kampf der Narrative" gegen China zu verlieren drohe. Sowohl die EU als auch die USA werfen der Volksrepublik vor, die russischen Narrative bezüglich der "Spezialoperation" in der Ukraine über Staatsmedien und deren Diplomaten zu verbreiten - und eben nicht von Invasion zu sprechen. Antiamerikanische oder antiwestliche Vorurteile werden dafür ausgenutzt.

Der Außenbeauftragte fordert daher, dass die EU-Institutionen sowie die nationalen Regierungen professioneller agieren sollten. "Man muss seine Wahrheiten darstellen, man muss einen Plan haben und kontern können, denn die Russen tun dies wie die Chinesen in einer sehr gut organisierten Art und Weise", sagt Borrell. Beamte in Brüssel erklären die aktuellen Probleme auch damit, dass internationale Reedereien zögern, ihre Schiffe in russische Häfen zu entsenden, um Getreide und Düngemittel aufzunehmen, um Imageschäden zu vermeiden.

In knapp zwei Wochen will Borrell mit den EU-Außenministern die geopolitischen Auswirkungen des Krieges in der Ukraine beraten. Im kürzlich verabschiedeten "Strategischen Kompass" wird bereits dafür geworben, ausländische Einmischung und Informationsmanipulation anzugehen. So müsste die "East Stratcom Task Force", deren Expertinnen seit Jahren Desinformationskampagnen analysieren, mehr Geld und Personal erhalten. Es wird auch erwogen, ein neues Sanktionsregime zu schaffen, um die Verbreitung von Desinformation zu ahnden. So gibt es etwa ein eigenes Sanktionsregime, um Cyberangriffe zu ahnden.

Allerdings weiß man auch in Brüssel, dass solche Schritte höchstens mittelfristig wirken und Lösungen schnell gefunden werden müssen. Laut UN-Schätzungen könnten etwa 1,4 Milliarden Menschen von Nahrungsmittelknappheit betroffen sein, wenn sich die Lage nicht verbessert. Das Landwirtschaftsministerium in Kiew teilte am Dienstag mit, dass die Agrarexporte im Mai im Vergleich zum Vormonat zwar deutlich gestiegen seien. Das Vorkriegsniveau sei aber längst nicht erreicht. Die türkische Regierung, die sich mit Russland, der Ukraine und den Vereinten Nationen über die Freigabe von ukrainischen Getreidelieferungen austauscht, sprach zudem von "deutlichen Fortschritten". Allerdings müssten für den nötigen Seetransport durch einen Korridor Minen aus dem Schwarzen Meer geräumt und es müsse geklärt werden, wer die Frachtschiffe begleitet.

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