Krise um die Ukraine:Reise-Diplomatie soll Krieg verhindern

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Auf Abstand im Kreml: Frankreichs Präsident Macron (rechts) soll zwischen dem russischen Präsidenten Putin und dem Westen vermitteln. (Foto: Sputnik/Kreml/AP)

Bundeskanzler Scholz, Außenministerin Baerbock und Frankreichs Staatschef Macron sind unterwegs, um die Ukraine-Krise zu entschärfen. Die Deutschen müssen Zweifel an ihrer Verlässlichkeit ausräumen.

Von Daniel Brössler und Frank Nienhuysen, Washington/München

Sowohl in Moskau als auch in Washington und in Kiew hat am Montag eine Phase geballter diplomatischer Versuche begonnen, die Spannungen rund um die Ukraine zu entschärfen. Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron traf sich am Montag im Kreml mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin, während Olaf Scholz zu seinem ersten Besuch als Bundeskanzler in Washington war.

Putin, der Macron duzte, lobte den Franzosen als "äußerst aktiven Teilnehmer" bei den Gesprächen über die Ukraine-Krise und die Sicherheit in Europa. Der Kremlchef sagte, beide teilten eine "gemeinsame Sorge" über die europäische Sicherheit. Allerdings dürften beide diese Sorge verschieden interpretieren.

Der Westen befürchtet einen Einmarsch Russlands in die Ukraine, an deren Grenzen weit mehr als 100 000 russische Soldaten zusammengezogen sind. Etwa 30 000 Soldaten sowie schweres Gerät hat Russland nach Angaben der Nato nach Belarus verlegt, wo am Donnerstag ein Manöver beginnt. Moskau, das den Vorwurf einer möglichen Invasion zurückweist, fühlt sich seinerseits von der Nato bedroht und fordert, auf eine neuerliche Osterweiterung zu verzichten.

Der Kreml hatte schon vor Macrons Besuch vor zu großen Erwartungen gewarnt

Putin nannte bei einer gemeinsamen Pressekonferenz die bis spätabends dauernden Gespräche nützlich. Einige Ideen Macrons könnten die Basis für weitere gemeinsame Schritte sein. Er werde mit Macron erneut sprechen, nachdem dieser mit der ukrainischen Führung gesprochen habe. Putin forderte die Ukraine zur Umsetzung des Friedensplans für den Donbass auf. Die Vereinbarungen von Minsk würden von Kiew ignoriert.

Macron sagte nach den Gesprächen, eine neue Sicherheitsarchitektur in Europa sollte nicht dadurch geschaffen werden, dass Staaten das Recht auf einen Beitritt zur Nato abgesprochen werde. Der Kreml hatte schon vor Macrons Moskau-Besuch vor zu großen Erwartungen gewarnt. Die Lage sei zu kompliziert, um entscheidende Durchbrüche bei einem einzigen Treffen zu erreichen. Der Westen ziehe es vor, über einen künftigen Einmarsch Russlands in die Ukraine zu sprechen anstatt über Sicherheitsgarantien, so Putins Sprecher.

An diesem Dienstag wird Frankreichs Präsident in Kiew erwartet, wo am Montag Bundesaußenministerin Annalena Baerbock versuchte, Zweifel an Deutschlands Bündnistreue auszuräumen. Nach seinen Besuchen in Moskau und Kiew wird Macron in Berlin erwartet, um sowohl Bundeskanzler Scholz als auch den polnischen Präsidenten Andrzej Duda zu informieren. Polen hat derzeit die Präsidentschaft der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit (OSZE) inne, die nach den Vorstellungen der Bundesregierung stärker in die Friedensbemühungen eingebunden werden sollte. Am Montag kommender Woche will Scholz zuerst in die ukrainische Hauptstadt Kiew reisen, am Tag darauf dann zu Putin nach Moskau.

Angewärmte Atmosphäre: Bundeskanzler Olaf Scholz (li.) und US-Präsident Joe Biden vor einem Kaminfeuer im Oval Office des Weißen Hauses. (Foto: Alex Brandon/AP)

Scholz wies in den USA vor seinem Treffen mit US-Präsident Joe Biden jegliche Zweifel an der Bündnistreue Deutschlands und seiner Verlässlichkeit zurück. "Die Realität ist wichtiger als Gerüchte. Die Realität ist, dass Deutschland der größte kontinentale Nato-Partner in Europa ist, dass wir fortlaufend unsere militärischen Kräfte stärken, dass wir ein sehr guter Partner sind", sagte Scholz in einem Interview mit der Washington Post. Das gelte auch für den Fall einer russischen Aggression gegen die Ukraine. "Unsere klare Antwort ist, dass es sehr hohe Kosten haben wird, wenn sie angreifen, und dass wir sehr hart arbeiten, um einen Weg heraus aus dieser Situation zu finden", betonte Scholz.

In Washington wollte der Kanzler vor allem Einigkeit bei der mit der US-Regierung abgestimmten Doppelstrategie demonstrieren. So soll Putin einerseits durch Verhandlungen von einem Angriff auf die Ukraine abgehalten werden, andererseits durch eine möglichst geschlossene westliche Front überzeugt werden, dass die Sanktionsdrohungen ernst sind.

Nach dem Gespräch mit Scholz sagte Biden bei einem gemeinsamen Auftritt: "Deutschland, die USA und unsere Verbündeten und Partner arbeiten eng zusammen, um diplomatische Lösungen für diese Situation zu finden." Dies sei der beste Weg für alle Beteiligten. Die USA und Deutschland seien bereit, die Gespräche mit Moskau fortzusetzen. Biden machte auch klar, dass eine russische Aggression das Aus für die umstrittene Pipeline Nord Stream 2 wäre. Scholz selbst hatte zuvor auf die Frage nach Nord Stream 2 gesagt: "Wir sind mit unseren Partnern bereit, alle notwendigen Schritte zu unternehmen."

Auch Scholz betonte, wichtig sei eine gemeinsame Antwort der Bündnispartner - USA, Europa, Nato - auf die "ernsthafte Gefährdung der Sicherheit in Europa". Komme es zu einer militärischen Aggression gegen die Ukraine, "dann wird es harte, gemeinsam vereinbarte und weitreichende Sanktionen geben. Es wird sehr, sehr hohe Kosten für Russland haben, einen solchen Schritt zu tun." Aus seiner Sicht sei diese Botschaft in Russland angekommen. Der US-Präsident sagte mit Blick auf Russlands Präsidenten: "Ich denke, es muss ihm bewusst sein, dass es für ihn ein gigantischer Fehler wäre, gegen die Ukraine vorzugehen." Die Auswirkungen auf Europa und den Rest der Welt wären "verheerend".

"Es ist nicht nötig, Vertrauen zurückzugewinnen", sagt Biden

Biden bemühte sich auch, Zweifel an Deutschlands Zuverlässigkeit zu zerstreuen. "Es ist nicht nötig, Vertrauen zurückzugewinnen", sagte er bei einem gemeinsamen Auftritt nach dem Gespräch mit Scholz. Deutschland habe das volle Vertrauen der USA. "Deutschland ist einer unserer wichtigsten Verbündeten in der Welt. An der Partnerschaft Deutschlands mit den Vereinigten Staaten gibt es keinen Zweifel." Zuvor hieß es, man habe sich vor dem Kanzlerbesuch mit der Bundesregierung bei der Vorbereitung von Sanktionen eng abgestimmt.

Scholz hatte vor dem Treffen die Weigerung Deutschlands verteidigt, Waffen an die Ukraine zu liefern. Zugleich wies er aber darauf hin, dass Deutschland der "stärkste wirtschaftliche Unterstützer der Ukraine" sei. Militärische Hilfe erhält Kiew trotzdem. Der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba sagte am Montag, dass sein Land in den vergangenen Wochen und Monaten mehr als tausend Tonnen an Verteidigungswaffen und militärischer Ausrüstung von westlichen Partnern erhalten habe. Gemeint sind die USA, Großbritannien, Polen, Litauen, Lettland sowie Tschechien.

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