Ukraine-Konflikt:"Wir sehen, dass Russland weiter eskaliert"

Ukraine-Konflikt: Warnt vor einem bevorstehenden Angriff Russlands auf die Ukraine: Jake Sullivan, der Sicherheitsberater des US-Präsidenten

Warnt vor einem bevorstehenden Angriff Russlands auf die Ukraine: Jake Sullivan, der Sicherheitsberater des US-Präsidenten

(Foto: Manuel Balce Ceneta/dpa)

Damit in der Ukraine keine Panik ausbricht, hatte die US-Regierung Kiew zugesagt, nicht mehr von einer "unmittelbar" bevorstehenden Invasion zu sprechen. Doch plötzlich ändert sich die Intonierung radikal.

Von Hubert Wetzel, Washington

Vor einigen Tagen erst hatte die US-Regierung bekannt gegeben, künftig auf ein kleines, aber nicht unwichtiges Wort verzichten zu wollen: imminent. Man werde nicht mehr davon sprechen, dass eine mögliche russische Invasion in der Ukraine "unmittelbar" bevorstehe, hieß es aus Washington. Das war eine Geste an die Regierung in Kiew, die verhindern wollte, dass wegen der ständigen Kriegswarnungen aus den USA in ihrem Land Panik ausbricht. Auch die amerikanischen Verbündeten in Europa, die noch mitten in allerlei diplomatischen Verhandlungen mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin steckten, waren wohl etwas irritiert, dass die USA den Eindruck erweckten, ein Angriff Russlands auf den Nachbarstaat könnte praktisch jederzeit beginnen.

Lange dauerte die Zurückhaltung in Washington allerdings nicht. Am Freitag benutzte der Sicherheitsberater von US-Präsident Joe Biden, Jake Sullivan, in seiner Lagebeschreibung ein gleichbedeutendes Wort - immediate. "Russland könnte in sehr kurzer Zeit den Befehl zu einer großen Militäraktion gegen die Ukraine geben", sagte er. Zwar wüssten die USA nicht mit abschließender Sicherheit, ob Putin eine Invasion beschlossen und angeordnet habe. Aber die Gefahr sei "hoch" und die Bedrohung sei "unmittelbar".

Wenige Stunden vor Sullivans Äußerungen hatte Biden sich bereits in einer Telefonkonferenz mit Staats- und Regierungschefs aus den wichtigsten Nato- und EU-Ländern zusammengeschaltet. Darunter waren Bundeskanzler Olaf Scholz und die Kollegen aus Paris, London und Rom. An der Besprechung nahmen aber zudem die Präsidenten Polens und Rumäniens teil - jener beiden osteuropäischen Staaten, die die längsten Landgrenzen mit der Ukraine teilen. In den vergangenen Tagen hatten die USA in beide Länder mehrere Tausend GIs verlegt, um Moskau zu signalisieren, dass die Ostgrenze der Nato verteidigt wird. Am Freitag beorderte das Pentagon 3000 weitere Soldaten der 82. Luftlandedivision nach Polen.

Über Details von Bidens Unterredung mit den Verbündeten wurde zunächst nichts bekannt. Doch dass die US-Regierung nur kurz nach dem Telefonat den wichtigsten Berater des Präsidenten an die Öffentlichkeit schickte, um vor einer Invasion zu warnen, spricht dafür, dass Washington ernsthaft besorgt ist. An diesem Samstag will Biden erneut mit Putin telefonieren.

Sullivan zufolge hat die russische Armee genügend Truppen und Material für einen Angriff an der ukrainischen Grenze zusammengezogen. "Wir sehen, dass Russland weiter eskaliert", sagte er. "Dazu gehört auch die Ankunft neuer Militärkräfte an der ukrainischen Grenze." Der Sicherheitsberater spekulierte sogar öffentlich darüber, wie eine Invasion ablaufen könnte. "Sie würde vermutlich mit Luftangriffen und Raketenbeschuss beginnen, durch die Zivilisten getötet werden könnten", sagte Sullivan. Danach könnte eine Bodenoffensive "durch eine massive Streitmacht" folgen.

Ähnlich wie Sullivan äußerte sich auch US-Außenminister Antony Blinken. Bei einer Pressekonferenz in Australien warnte er davor, dass ein russischer Einmarsch in der Ukraine "jederzeit" beginnen könne. Er wolle auch nicht ausschließen, dass Putin noch während der derzeit laufenden Olympischen Winterspiele in Peking losschlage, so Blinken. Bisher war im Westen erwartet worden, dass Putin das Ende der Spiele am 20. Februar abwartet, um die chinesische Regierung nicht zu verärgern. Im Falle eines russischen Angriffs auf ein europäisches Land wäre es vermutlich schwierig, die Spiele einfach fortzusetzen.

Blinkens Äußerung war eine dringende Warnung des US-Außenministeriums an alle amerikanischen Staatsbürger in der Ukraine vorausgegangen, das Land möglichst sofort zu verlassen. Sullivan sprach am Freitag von einem Zeitfenster von 24 bis 48 Stunden, das Amerikaner zur Ausreise nutzen sollten. Präsident Biden stellte in einem Interview klar, dass das US-Militär nach dem Beginn einer Invasion keine Amerikaner aus der Ukraine retten werde. Die Gefahr, dass es bei einer Evakuierungsaktion zu Zusammenstößen mit russischen Soldaten komme - und dadurch zum "Dritten Weltkrieg" -, sei zu hoch. Auch andere europäische Staaten forderten ihre Staatsbürger auf, schnellstmöglich aus der Ukraine auszureisen.

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