Süddeutsche Zeitung

Krieg in der Ukraine:Das deutsche Dilemma mit der Krim

Die Bundesregierung unterstützt die Befreiung ukrainischer Gebiete von russischer Herrschaft - aber gilt das auch für die schon 2014 annektierte Halbinsel?

Von Daniel Brössler, Berlin

Kürzlich ist die Sprecherin des US-Verteidigungsministeriums, Laura Cooper, zum Wunsch der Ukraine nach ballistischen Kurzstreckenraketen befragt worden. Ihre Antwort war abschlägig. Mit den gelieferten Waffensystemen, insbesondere dem Mehrfachraketenwerfer Himars, seien die ukrainischen Streitkräfte bereits jetzt in der Lage, die "überwältigende Mehrheit der Ziele einschließlich auf der Krim" zu erreichen. "Und nur um klar zu sein", fügte sie hinzu, "die Krim ist Ukraine."

Die Klarstellung war in doppelter Hinsicht bedeutsam. Zum einen, weil US-Präsident Joe Biden die Ukraine ausdrücklich nicht in die Lage versetzen will, russisches Territorium anzugreifen. Zum anderen, weil die USA so noch einmal signalisieren, dass es keinen Unterschied gibt zwischen der seit 2014 von Russland völkerrechtswidrig annektierten Krim und den neuerdings von Kremlchef Wladimir Putin in sein Reich geholten ukrainischen Gebieten.

Das ist auch die Botschaft, mit der Tamila Taschewa am Donnerstag nach Berlin gekommen ist. Die Krim-Tatarin trägt den Titel "Ständige Repräsentantin des Präsidenten der Ukraine in der Autonomen Republik Krim" und hat Termine mit Abgeordneten, aber auch im Kanzleramt und im Auswärtigen Amt. "Die Unterstützung der deutschen Regierung ist sehr wichtig", sagt Taschewa, und zumindest an der offiziellen Unterstützung hat sie auch nichts auszusetzen. Bedeutsam sei gewesen, dass Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) im August an der virtuellen Krim-Konferenz teilgenommen habe, lobt sie.

Die Mission, in der Taschewa zusammen mit Maria Tomak, der Chefin der von Präsident Wolodimir Selenskij geschaffenen Krim-Plattform, angereist ist, hat allerdings auch viel dem Inoffiziellen zu tun. "Manchmal wird die Krim als historisch russisch wahrgenommen. Das ist absolut falsch", sagt Tomak.

"Wir werden auch die Referenden nicht akzeptieren"

Völkerrechtlich ist die Bundesregierung in der Frage eindeutig. Zugeschaltet aus Kanada machte Scholz beim Krim-Gipfel deutlich, "dass die internationale Staatengemeinschaft die illegale, imperialistische Annexion ukrainischen Hoheitsgebiets durch Russland niemals akzeptieren wird". Auch am Donnerstag beim europäischen Gipfel in Prag stellte Scholz noch einmal klar, "dass wir nicht akzeptieren, dass ein Teil des Nachbarlandes annektiert wird". Er fügte hinzu: "Wir werden auch die ganzen Referenden nicht akzeptieren."

Schillernd wird die deutsche Haltung, sobald es um etwas geht, das noch vor Kurzem als kaum vorstellbar galt: eine militärische Rückeroberung der Krim. Mit den militärischen Erfolgen, zuletzt auch an der südlichen Front, wachsen das ukrainische Selbstvertrauen und der Glaube, die russischen Besatzer längerfristig auch von der Krim vertreiben zu können. Taschewa verweist darauf, dass Präsident Selenskij alle politischen, diplomatischen und militärischen Optionen offengehalten habe. Das allerdings widerspricht der in Berlin mehr oder weniger offen kommunizierten Überzeugung, dass man sich mit der Annexion der Krim faktisch für lange Zeit werde abfinden müssen.

Seit den von ihm hastig befohlenen Scheinreferenden mit anschließender Annexion in vier ukrainischen Regionen hat Russlands Präsident Putin diese Denkschule allerdings nach Überzeugung von Taschewa und Tomak ad absurdum geführt. "Was sich in den neu okkupierten Gebieten abspielt, ist eine Wiederholung dessen, was auf der Krim passiert ist", betont Tomak.

Die Argumentation ist klar: Wer die militärische Befreiung jüngerer russischer Eroberungen unterstützt, kann sie im Falle der Krim nicht ablehnen. Anders als aus den USA erhalten die Ukrainer aus Deutschland indes keine explizite Zustimmung, wenn sie die Krim militärisch ins Visier nehmen. Genau das geschieht allerdings zunehmend. Im August etwa gelang der Ukraine ein spektakulärer Angriff auf den Militärflughafen bei Saki.

Deutlich verändert habe sich seit der am 24. Februar begonnenen Invasion auch die Lage der Bevölkerung auf der Krim, sagt Taschewa, die 2014 vor der russischen Besatzung geflohen ist. Der russische Überwachungsapparat mache größere Demonstrationen zwar unmöglich, individuelle Protestbekundungen aber hätten zugenommen. Drastisch verschärft habe sich die Lage nun durch die von Putin verkündete Mobilisierung. Tausende Bewohner hätten die Krim verlassen. Von Berichten aus der Heimat, in der noch ihre Eltern und etliche Verwandte leben, wisse sie, dass insbesondere auch Krim-Tartaren zwangsrekrutiert würden. "Das ist nach der Genfer Konvention ein Kriegsverbrechen", sagt sie.

Wer nicht gegen seine Landsleute kämpfen wolle, dem bleibe nur Flucht oder Gefängnis. Auch im ursprünglich eher prorussischen Teil der Bevölkerung wende sich die Stimmung inzwischen gegen Moskau. "Eines Tages, vielleicht nicht morgen, aber übermorgen, werden wir die Kontrolle über die Krim zurückerlangen", ist Taschewa überzeugt. Auf diesen Tag bereite sich die Ukraine vor.

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