Prozess wegen Kriegsverbrechen:Russischer Soldat in Kiew wegen Kriegsverbrechen zu lebenslanger Haft verurteilt

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Der 21-Jährige hatte gestanden, einen Zivilisten erschossen zu haben. Es war der erste Prozess dieser Art in der Ukraine. Das Signal: Auch der Krieg ist kein rechtsfreier Raum.

Von Nicolas Freund, München

Es ist ein Urteil, das nicht nur juristische Wirkung hat. Nach den Morden, Hinrichtungen und Vergewaltigungen in Butscha, Irpin und anderen ukrainischen Städten, deren Namen zu Synonymen des Schreckens geworden sind, ist in Kiew am Montag ein russischer Soldat wegen Kriegsverbrechen zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Das berichten internationale Medien, die dem Prozess beiwohnen, und Nachrichtenagenturen.

Es ist der erste zu Ende gebrachte Prozess dieser Art seit Beginn des Krieges Ende Februar. Tausende weitere Fälle werden derzeit noch bearbeitet, oft ohne dass die Täter bisher ermittelt werden konnten. Dieses Urteil hat deshalb auch eine große symbolische und emotionale Bedeutung: Denn es signalisiert, dass die Verbrechen der russischen Besatzer nicht ungesühnt bleiben müssen und dass der Krieg, auch wenn es oft so erscheint, kein rechtsfreier Raum ist.

Ukraine
:"Ich habe ihn getötet"

Zum ersten Mal steht in der Ukraine ein russischer Soldat wegen Kriegsverbrechen vor Gericht. Der 21-Jährige gesteht, einen Mann erschossen zu haben, und bittet dessen Witwe um Vergebung.

Von Andrea Bachstein

Der 21 Jahre alte, aus Sibirien stammende Panzerkommandant Wadim Sch. hatte am Mittwoch vergangener Woche vor Gericht gestanden, am 28. Februar, vier Tage nach Beginn des Krieges, in dem Ort Tschupachiwka in der Region Sumy im Nordosten der Ukraine einen 62 Jahre alten Mann erschossen zu haben. Wadim Sch. war, so berichtete er es im Prozess, von seiner Einheit getrennt worden und mit vier anderen russischen Soldaten in einem gestohlenen Wagen unterwegs gewesen, als sie den Mann, Oleksandr Schelipow, am Straßenrand bemerkten, ein Telefon in der Hand. Er soll den Diebstahl des Wagens beobachtet haben, und die Soldaten hatten Angst, er könne die ukrainischen Streitkräfte über ihren Standort informieren. Einer der anderen Soldaten habe Wadim Sch. befohlen, den Mann zu erschießen, was Sch. zunächst verweigert habe. Ein weiterer Soldat habe dann gedroht, Sch. bringe sie alle in Gefahr und es werde Folgen haben, wenn er den Befehl nicht ausführe. Also erschoss Wadim Sch. den unbewaffneten Oleksandr Schelipow.

Sch. bat die Witwe des Opfers um Vergebung

Iwan M., ein anderer Soldat, der auch in dem Wagen saß, sowie die Witwe von Oleksandr Schelipow bestätigten vergangene Woche vor Gericht diese Darstellung der Ereignisse. Wadim Sch. hatte in dem Prozess Reue gezeigt: "Ich bedauere es. Ich bereue es sehr", sagte er. "Ich habe mich nicht geweigert, und ich bin bereit, alle Maßnahmen zu akzeptieren, die verhängt werden." Schelipows Witwe bat er um Vergebung.

Sch.s ukrainischer Anwalt kündigte an, gegen das Urteil Berufung einlegen zu wollen. Es ist noch nicht rechtskräftig. Lebenslänglich in der Ukraine bedeutet tatsächlich eine lebenslängliche Haft, die nur durch eine Begnadigung des ukrainischen Präsidenten beendet werden kann. Es ist allerdings gut möglich, dass Wadim Sch. gegen ukrainische Kriegsgefangene in Russland ausgetauscht wird. Kreml-Sprecher Dmitrij Peskow sagte: "Natürlich besorgt uns das Schicksal unseres Mitbürgers." Man habe aber derzeit keine Möglichkeit, ihm zu helfen. In Russland soll der Prozess kaum wahrgenommen worden sein.

Dieses Urteil könnte trotzdem auch ein wichtiges Signal an russische Soldaten und Befehlshaber senden, die nach wie vor in der Ukraine Krieg führen und Kriegsverbrechen begehen: Sie könnten bald, so wie Wadim Sch., in einem Plexiglaskasten vor einem ukrainischen Gericht stehen.

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