Erst der beunruhigende Auftritt von US-Vizepräsident J. D. Vance bei der Münchner Sicherheitskonferenz, dann das Treffen der Außenminister Russlands und der Vereinigten Staaten in Riad – beides hat die europäischen Regierungen aufgeschreckt. So sehr, dass in diesen Tagen immer intensiver darüber diskutiert wird, wie eine mögliche Friedenssicherung in der Ukraine aussehen könnte – und welche Rolle Europa dabei spielen muss. Am Sonntag hatte der britische Premierminister Keir Starmer angekündigt, dass sein Land „falls nötig“ Truppen zur Friedenssicherung in der Ukraine zur Verfügung stellen könnte. Laut einer aktuellen Umfrage des Forsa-Instituts befürwortet eine knappe Mehrheit der deutschen Bevölkerung eine Beteiligung von Bundeswehrsoldaten an einem möglichen friedenssichernden Einsatz in der Ukraine.
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) aber zögert. Am Montag sagte er nach dem Treffen europäischer Spitzenpolitiker in Paris, dass er die Debatte für „höchst unangemessen“ und „völlig verfrüht“ halte. Scholz warnte vor einer Spaltung der Nato in dieser Frage: „Wir werden uns in diesem Zusammenhang nicht an Szenarien beteiligen, in denen europäische und amerikanische Sicherheit auseinanderfallen, also beispielsweise europäische Soldaten ohne volle US-Involvierung eingesetzt werden.“ Vor einem Waffenstillstand wäre für Scholz die Entsendung von Nato-Truppen ohnehin völlig ausgeschlossen, weil das Bündnis damit in den Krieg hineingezogen würde.
Allerdings steht in Deutschland bekanntlich die Bundestagswahl kurz vor der Tür – und es spricht einiges dafür, dass der nächste Kanzler nicht mehr Olaf Scholz, sondern Friedrich Merz heißen wird. Der allerdings hat sich in Sachen Friedenssicherung in der Ukraine bislang ebenfalls nicht klar positioniert. Im TV-Quadrell am Sonntagabend beantwortete der Unionskanzlerkandidat die Frage, ob Deutschland zur Absicherung eines Waffenstillstands oder eines Friedensschlusses Soldaten schicken solle, mit dem ausweichenden Hinweis, dass sich diese Frage „heute überhaupt nicht“ stelle. Schon Ende Dezember hatte er ein „einwandfreies völkerrechtliches Mandat“ zur Voraussetzung für eine deutsche Beteiligung an einer Friedenstruppe erklärt. Dazu müsse es auch einen Konsens mit Russland geben, Deutschland dürfe nicht Kriegspartei werden.
„Die USA lösen gerade die Weltordnung auf.“
Es ist wenig verwunderlich, dass Merz sich wenige Tage vor der Wahl bei diesem heiklen Thema nicht final festlegen will. Jenseits von taktischen Überlegungen lässt sich die Haltung in der CDU zudem damit zusammenfassen, dass vor einer Diskussion über Friedenstruppen erst einmal die Voraussetzungen dafür geschaffen werden müssten. Noch gibt es keinen Waffenstillstand, ganz zu schweigen von der Aussicht auf einen fairen Frieden.
Dass die Lage für Europa ernst ist und die Zeit drängt, daran herrscht in der Union allerdings kein Zweifel. „Die USA lösen gerade die Weltordnung auf, die sie nach dem Zweiten Weltkrieg so erfolgreich geschaffen haben, und zwar indem sie die gemeinsame Wertebasis aufkündigen“, sagte der CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen der Süddeutschen Zeitung. „Uns Europäer bringt das an den Abgrund, allerdings auch infolge eigener Untätigkeit.“ Deutschland habe jetzt für Europa eine unersetzbare Rolle. „Nach dem nächsten Sonntag muss es schnellstmöglich eine handlungsfähige Regierung geben.“
Der CDU-Verteidigungspolitiker Johann Wadephul sagte der SZ, es sei notwendig, dass Europa jetzt die Initiative ergreife, um einen Beitrag zu möglichen Sicherheitsgarantien für die Ukraine in einem Nachkriegsszenario zu definieren. Deutschland werde auch in Zukunft einen wesentlichen Beitrag zur Sicherheit der Ukraine leisten; eine Unterstützung für die Stationierung deutscher Soldaten auf ukrainischem Boden sehe er derzeit aber aus verschiedenen Gründen nicht. „Denn zum einen ist weder ein UN-Mandat in Sicht, noch wäre eine Reduzierung der geplanten Litauen-Brigade verantwortbar.“
In der Tat sieht sich die Bundeswehr derzeit mit mehreren Herausforderungen konfrontiert und hat Schwierigkeiten, selbst kleinere Missionen wie die Stationierung einer Brigade in Litauen mit rund 5000 Uniformierten personell und materiell zu stemmen. Bereits nach dem russischen Überfall auf die Ukraine hatte Heeresinspekteur Alfons Mais konstatiert, dass das Heer „blank“ sei. Seither ist die stolze Teilstreitkraft aber noch „blanker“ geworden, denn viel Material wurde an die Ukraine abgegeben. Hinzu kommt der Personalmangel. Von dem bis 2031 angestrebten Personalaufwuchs von derzeit knapp 180 000 Soldatinnen und Soldaten auf 203 000 ist die Truppe noch weit entfernt.
Im Fall einer Friedensmission in der Ukraine aber wäre gerade die Personalstärke ein wichtiger Faktor. Angesichts der etwa 2000 Kilometer langen russisch-ukrainischen Grenze wäre die Absicherung eine anspruchsvolle Aufgabe. Sicherheitsexpertin Claudia Major von der Stiftung Wissenschaft und Politik schätzt, dass für eine glaubwürdige Abschreckung Russlands mindestens 150 000 Soldatinnen und Soldaten erforderlich wären.
„Trump hat in den letzten Tagen alles auf den Kopf gestellt und die Kriegsgefahr massiv erhöht.“
Hintergrund der Diskussionen sind die jüngsten Vorstöße der USA in Sachen Ukraine. Nach dem Telefonat zwischen US-Präsident Donald Trump und dem russischen Staatschef Wladimir Putin vergangene Woche haben sich am Dienstag Vertreter der USA und Russlands in der saudischen Hauptstadt Riad getroffen. Die Gespräche zwischen den Außenministern der USA und Russlands, Marco Rubio und Sergej Lawrow, sind umstritten, da weder die Ukraine noch europäische Vertreter in Riad dabei waren. Letztere hatten in den vergangenen Tagen immer wieder deutlich gemacht, dass Gespräche über den Konflikt nur unter europäischer Beteiligung geführt werden dürften. Befürchtet wird aber inzwischen, dass Trump ein Abkommen mit Russland anstreben könnte, das weder starke Sicherheitsgarantien für die Ukraine noch tragfähige Bedingungen für einen dauerhaften Frieden enthält.
Der Sicherheitsexperte Christian Mölling von der Bertelsmann-Stiftung sagt: „Trump hat in den letzten Tagen alles auf den Kopf gestellt und die Kriegsgefahr massiv erhöht.“ Wenn am 24. Februar, einen Tag nach der Bundestagswahl und drei Jahre nach Beginn des russischen Angriffskrieges, in Hinblick auf die Verteidigung nichts passiere, „dann haben sie den Ernst der Lage wohl immer noch nicht verstanden“. Und: „Ohne die Beteiligung der Amerikaner geht es nicht.“ Die USA müssten dafür nicht unbedingt mit Truppen in der Ukraine präsent sein – aber sie könnten zumindest bei der Aufklärung helfen und ihren Verbündeten zur Seite stehen.
Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne), die sich im Dezember für den Fall eines Waffenstillstands noch offen zeigte, deutsche Soldaten zur Friedenssicherung in der Ukraine zu senden, sagte am Dienstag im ZDF, dass sie die aktuelle Diskussion über Friedenstruppen für falsch halte. „Warum spielen wir das Spiel der Russen mit? Warum spielen wir das Spiel mit, wo die US-Administration nicht so richtig klarmacht, auf welcher Seite sie eigentlich spielt?“, fragt sie.