Flucht aus der Ukraine:"Wir helfen auf jede Weise"

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Schon jetzt leben 300 000 Ukrainer dauerhaft in Polen - jetzt könnten Zehntausende Flüchtlinge hinzukommen. Wie Warschau auf den Krieg im Nachbarland blickt.

Von Viktoria Großmann, Warschau

"Solidarität mit der Ukraine", diese Parole leuchtet nicht nur auf der Homepage des polnischen Präsidenten Andrzej Duda. Sie scheint an diesem Tag in Polen alle Lager zu einen - von linken Aktivisten bis zur rechtsnationalen PiS-Regierung. Mehr als 1000 Menschen haben sich am Abend in Warschau vor der russischen Botschaft versammelt, sie skandieren "Freiheit für die Ukraine" oder "Ukraine ohne Putin", blau-gelbe Flaggen wehen, vereinzelt auch EU-Fahnen - die Forderung einer Rednerin, die Ukraine in die EU aufzunehmen, löst zumindest hier Begeisterung aus. Nicht nur Forderungen werden gestellt, es wird auch detailliert beschrieben, welche Hilfe benötigt wird. Darunter freie, wahrheitsgetreue Berichterstattung.

Bereits seit zehn Uhr morgens wurde vor der Russischen Botschaft protestiert, der Andrang am Abend will nicht abreißen, nicht nur hier, in der ganzen Stadt sind blau-gelbe Fahnen zu sehen, ob in einer Buchhandlung oder an einem Uni-Gebäude. Zimperlich sind die Demonstranten mit ihren Parolen nicht: "Putin, verpiss dich", gehört zu den harmloseren. Hinter Gittern zeigt ihn ein Plakat, auch Putin mit Hitlerbart fehlt nicht.

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Die Stadt Lublin östlich von Warschau setzt seit Dienstag mit Flaggen und gelb-blauen Lichtinstallationen Zeichen - doch sie tut noch weit mehr. Lublin ist auf alles vorbereitet, so lassen sich die Worte von Krzysztof Stanowski zusammenfassen. Dort leben nicht nur bereits viele Ukrainer; die Stadt hat auch mehrere Partnerstädte im Nachbarland, jedes Jahr feiert sie ein großes ukrainisches Kulturfestival und unterhält eigens ein Zentrum für internationale Kooperation - nicht nur für Ukrainer. Stanowski leitet dieses Zentrum und engagiert sich zudem im Komitee für die Solidarität mit der Ukraine, das 2014 gegründet wurde, als Russland sich völkerrechtswidrig die Krim aneignete.

"Wir helfen auf jede Weise", sagt Stanowski. Es werden bereits Geld- und Sachspenden gesammelt, der Bürgermeister der Stadt ist in ständigem Austausch mit seinen ukrainischen Kollegen. "Wir geben humanitäre und politische Hilfe", so sei die Stadt vorbereitet, 15 000 Flüchtlinge aufzunehmen - "jederzeit", wie Stanowski betont.

Flüchtlinge aus dem Irak und Afghanistan sind weiterhin nicht willkommen

Gänzlich neu sei die Situation ja nicht, er selbst habe 2014 Verletzte aus der Ukraine in polnische Krankenhäuser gefahren. "Es ist kein neuer Krieg, aber er hat eine neue Qualität." Denn jetzt gehe die Bedrohung nicht von mehr oder weniger gut organisierten Rebellengruppen aus, sondern von der Armee Russlands. Und das besorge auch die Polen.

Die polnische Armee ist nach Angaben des Verteidigungsministers in höchster Alarmbereitschaft. Ein lange vorbereitetes Gesetz zur "Verteidigung des Vaterlandes" wurde gerade verabschiedet, es soll unter anderem den freiwilligen Wehrdienst attraktiver machen. Anfang der Woche wurde für das ganze Land wegen drohender Cyberangriffe aus Russland erhöhte Alarmstufe ausgerufen.

Bereits Mitte Februar hatte die Regierung die Kommunen aufgefordert, sich auf die Ankunft von Flüchtlingen einzustellen. Nun soll damit begonnen werden, an den Grenzen Aufnahmestellen einzurichten, zunächst in zwei Woiwodschaften. Mit bis zu einer Million Menschen wird gerechnet. Im August 2020 hatte Polen bereits für Belarussen die Visapflicht erlassen, Studenten und Wissenschaftler erhielten erleichterte Aufenthaltsbedingungen, die Opposition wurde ausdrücklich unterstützt.

In der Ukraine wiederum unterhält Polen seit einigen Jahren zur Regierung ein sehr gutes Verhältnis. Bereits jetzt leben etwa 300 000 Ukrainer mit dauerhafter Aufenthaltsgenehmigung in Polen. Insgesamt sind es, inklusive derer, die nur vorübergehend im Land sind, schätzungsweise bis zu zwei Millionen - eine Folge des Krieges in der Ostukraine und besserer Arbeitsbedingungen in Polen. Im Land herrscht beinahe Vollbeschäftigung, Fachleute sind willkommen.

Das alles steht in einem scharfen Missverhältnis zur weiterhin angespannten Situation anderer Flüchtlinge an der belarussischen Grenze: Wer aus dem Irak oder Afghanistan über diese Route kommt, ist weiterhin nicht willkommen. Erst vor einer Woche besuchte Premier Mateusz Morawiecki das Grenzgebiet, um sich vom Fortschritt beim Bau des riesigen Sicherungszauns an der EU-Außengrenze zu informieren. Hilfsorganisationen weisen auf anhaltende Menschenrechtsverletzungen dort hin.

Gegenüber Ukrainern jedoch scheint angesichts der Gefahr aus Russland Hilfsbereitschaft vorzuherrschen. Die Stadt Jelenia Góra, deutlich näher an Tschechien als an der Ukraine, verkündet, es sei ganz egal, ob jemand familiäre Verbindungen ins Land oder die nötigen Dokumente habe - man helfe jedem in Not. Und dann verweist Bürgermeister Jerzy Łużniak noch auf die in der Vergangenheit nicht immer selbstverständlich gute Nachbarschaft zur Ukraine: "Wir mögen die Geschichte unterschiedlich einschätzen, aber heute geht es um die Zukunft", schreibt er auf der Website des polnischen Städtebunds. Wenn es beim Nachbarn brennt, dann helfe man, und "heute brennt die Ukraine".

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