Krieg in der Ukraine:Mariupol bleibt standhaft

Krieg in der Ukraine: Eine Frau redet mit russischen Soldaten in Mariupol. Die Stadt ist längst zu einem Symbol für das ganze Land geworden.

Eine Frau redet mit russischen Soldaten in Mariupol. Die Stadt ist längst zu einem Symbol für das ganze Land geworden.

(Foto: AFP)

Auch wenn die Hafenstadt bald an die russischen Angreifer fällt: Als Symbol für den Widerstand der Ukraine ist Mariupol längst uneinnehmbar.

Von Nicolas Freund

Selbst wenn die Stadt in den nächsten Tagen eingenommen wird, selbst wenn nun die angebliche Kapitulation ukrainischer Soldaten gemeldet wird und Russland sich bereits mit Bildern von Soldaten, die Brote an die Bevölkerung verteilen, als Befreier inszeniert: Mariupol ist für Moskau ein Problem. Seit Wochen wird die Hafenstadt im Südosten der Ukraine von der russischen Armee belagert und beschossen, bleibt aber standhaft, trotz der extremen Umstände.

"Die Menschen dort sind von der Welt abgeschnitten, sie haben keine Nahrung, kein Wasser, keinen Strom, und es ist noch immer sehr kalt", sagt Lucile Marbeau. Sie arbeitet für das Internationale Komitee vom Roten Kreuz in der Ukraine und begleitete einen der Konvois, mit denen vergangene Woche etwa 1000 Menschen aus der Stadt evakuiert wurden. "Man kann an ihrer blassen und grauen Haut sehen, dass diese Menschen wochenlang in Bunkern saßen und kein Sonnenlicht gesehen haben."

Das Rote Kreuz konnte nicht bis ganz nach Mariupol vordringen. Die Helfer konnten nur die evakuieren, die es etwa 20 Kilometer aus der Stadt herausgeschafft hatten, darunter auch unbegleitete Kinder. Marbeau erzählt von einem 14 Jahre alten Mädchen, das allein geflohen ist. "Zurück bleiben Menschen mit Behinderungen, alte Menschen, die Verwundbarsten." Die ukrainischen Behörden sahen in den letzten Tagen keine Möglichkeit, neue Fluchtkorridore aus der Stadt einzurichten.

Für die Ukraine ist Mariupol längst zu einem Symbol des Widerstands, ja zu einem Symbol für das ganze Land geworden, das sich erbittert einem übermächtigen Angreifer entgegenstellt. Aber auch auf russischer Seite weiß man natürlich um diese Symbolik, und wahrscheinlich hat diese Bedeutung dazu beigetragen, dass die russischen Truppen besonders brutal vorgegangen sind. Das wochenlange Bombardement und das Abschneiden der Zivilbevölkerung von jeder Versorgung sollten so viel Schrecken verbreiten, dass sich der Rest des Landes aus Angst vor einem ähnlichen Schicksal kampflos ergibt. So ist es nicht gekommen, im Gegenteil, es scheint, die Brutalität der russischen Armee hat die Ukrainer sogar noch entschlossener gemacht.

Die Drohung mit Chemiewaffen folgt einer Strategie

Selbst dass prorussische Separatisten mit dem Einsatz von Chemiewaffen drohten, konnte daran nichts ändern. Ukrainische Streitkräfte in der Stadt berichteten am Montag bei Soldaten und Zivilisten von Symptomen wie nach einem Angriff mit Nervengift, die Separatisten stritten den Einsatz chemischer Waffen aber ab. Unabhängig davon, ob solche Kampfstoffe in der Stadt wirklich zum Einsatz gekommen sind, zeigt schon die Drohung, dass Russland seine Strategie nicht aufgegeben hat, mit einem besonders brutalen Vorgehen in Mariupol auch den Rest des Landes terrorisieren zu wollen. Einen ähnlichen Zweck erfüllt die Meldung von angeblich mehr als 1000 ukrainischen Soldaten und Soldatinnen, die sich ergeben haben sollen. Diese Nachricht konnte bisher nicht bestätigt werden, das ukrainische Verteidigungsministerium gibt an, es habe keine Informationen dazu, andere Quellen behaupten, die Soldaten hätten sich nur anderen Einheiten angeschlossen.

Zuletzt hieß es allerdings, den ukrainischen Verteidigern gingen Munition und Lebensmittel aus, eine Kapitulation ist deshalb nicht unwahrscheinlich. Unter anderem der Kreml-Propagandasender Russia Today zeigte Videos, in denen angebliche ukrainische Soldaten ruhig und geordnet in Bussen abtransportiert werden. Mehrere Twitter-Accounts, bei denen es sich vermutlich um Bots handelt, verbreiteten die Bilder mit dem immer gleichen Kommentar, niemand würde ukrainische Soldaten schlagen oder töten. Nach den Massakern in den von Russland besetzten Gebieten in der Ukraine sind Zweifel angebracht daran, dass ukrainische Kriegsgefangene von Russland gut behandelt werden. Nach der Genfer Konvention dürften sie schon nicht gefilmt und derart zur Schau gestellt werden.

Diese Terror- und Propaganda-Maßnahmen zeigen: Für Moskau geht es nicht nur um den strategischen Standort Mariupols. Es geht auch um ein Narrativ. Die Hafenstadt ist wichtig, wenn Russland eine Landbrücke zur besetzten Krim halten möchte, und auch für eine geplante Großoffensive können sich die russischen Streitkräfte keine ukrainischen Truppen in ihrem Rücken leisten. Russland braucht dringend Erfolge, die es präsentieren kann, nachdem die Angriffe im Norden des Landes, auch wenn die russische Führung das anders darstellt, katastrophal gescheitert sind. Dafür wird eine späte Eroberung der Stadt aber kaum ausreichen. Denn Mariupol ist längst auch zum Symbol für das Scheitern der russischen Armee geworden, die es wochenlang nicht schaffte, die belagerte Stadt einzunehmen. Russland wird in den kommenden Wochen versuchen, dieses Bild mit allen Mitteln zu bekämpfen.

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