Krieg in der Ukraine:Die ersten 26 000 Tonnen Getreide sind unterwegs

Krieg in der Ukraine: Unterwegs nach Istanbul: Am Dienstag wird das Frachtschiff "Razoni" mit 26 000 Tonnen ukrainischem Getreide an Bord in der Türkei erwartet. Von dort soll es den libanesischen Mittelmeerhafen Tripoli ansteuern.

Unterwegs nach Istanbul: Am Dienstag wird das Frachtschiff "Razoni" mit 26 000 Tonnen ukrainischem Getreide an Bord in der Türkei erwartet. Von dort soll es den libanesischen Mittelmeerhafen Tripoli ansteuern.

(Foto: Ukrainisches Infrastrukturministerium/dpa)

Doch mehr als 20 Millionen Tonnen lagern derzeit noch in der Ukraine. Am Montag hat das erste Schiff mit Getreide den Hafen von Odessa verlassen, 16 weitere warten bereits.

Von Christoph Koopmann

Zum ersten Mal seit Beginn des russischen Angriffskrieges Ende Februar hat am Montag ein Frachtschiff mit Getreide einen ukrainischen Hafen verlassen. Monatelang waren Exporte aus der Ukraine über den Seeweg nicht möglich - teils weil Russland Häfen blockierte, teils weil die Ukraine zum Schutz vor Angriffen selbst Minen gelegt hatte. Nun konnte der Frachter Razoni am Morgen im südukrainischen Odessa ablegen, beladen mit mehr als 26 000 Tonnen Mais.

"Heute macht die Ukraine gemeinsam mit Partnern einen weiteren Schritt zur Verhinderung des Hungers in der Welt", sagte der ukrainische Infrastrukturminister Oleksandr Kubrakow. Vor dem Krieg war die Ukraine der viertgrößte Getreideexporteur der Welt. Dass nun Millionen Tonnen Korn über Monate nicht auf dem Weltmarkt verteilt werden konnten, schürte global Ängste vor einer dramatischen Verschärfung der durch Pandemie, Lieferkettenprobleme und Klimawandel ohnehin angespannten Lebensmittelsituation, vor allem in Ländern des Nahen Ostens und Afrikas.

Ein Abkommen zwischen der Ukraine und Russland sieht vor, dass nun jedes Frachtschiff aus der Ukraine in Istanbul kontrolliert wird, um zu verhindern, dass etwa Waffen transportiert werden. Die Razoni, die unter der Flagge von Sierra Leone fährt, wird am Dienstagnachmittag in Istanbul erwartet, wie der türkische Verteidigungsminister Hulusi Akar der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu sagte. Nach der Inspektion soll das Schiff den libanesischen Mittelmeerhafen Tripoli ansteuern.

"Auch die nachfolgenden Schiffe werden auf ähnliche Weise problemlos weiterfahren", sagte Akar. Der ukrainische Infrastrukturminister Kubrakow sagte, allein in Odessa warteten derzeit noch 16 weitere Frachtschiffe. Das Exportabkommen sieht auch die sichere Passage von Schiffen aus den Häfen Tschornomorsk und Juschnij vor. Kubrakow kündigte an, mit Russland auch über die Öffnung des Hafens von Mykolajiw verhandeln zu wollen.

Krieg in der Ukraine: Dieses Satellitenbild zeigt die "Razoni" (Mitte, mit weißen Masten) am Sonntag im Hafen von Odessa. Am Montag fuhr das Schiff ab.

Dieses Satellitenbild zeigt die "Razoni" (Mitte, mit weißen Masten) am Sonntag im Hafen von Odessa. Am Montag fuhr das Schiff ab.

(Foto: Planet Labs PBC/AP)

Kremlsprecher Dmitrij Peskow sagte der Nachrichtenagentur Interfax zufolge, der Start der Razoni sei mit Blick auf das Exportabkommen "ziemlich positiv". "Wir wollen hoffen, dass die Vereinbarungen von allen Seiten erfüllt werden und dass die Mechanismen wirksam arbeiten." Ein Sprecher des Auswärtigen Amts in Berlin sagte über den Aufbruch des Schiffes: "Das ist ein Hoffnungsschimmer."

Der ukrainischen Regierung zufolge lagern derzeit im Land allein mehr als 20 Millionen Tonnen Weizen neben anderem Getreide, das für den Export bestimmt ist. Es handelt sich demzufolge um Erträge der Vorjahresernte. Behörden und Fachleute haben zuletzt immer wieder gewarnt, für die neue Ernte müssten dringend Lagerkapazitäten frei gemacht werden - außerdem drohe ein Teil des Getreides zu verderben.

Die Ukraine rechnet damit, dass die Wiederaufnahme der Exporte dem Land mindestens eine Milliarde US-Dollar einbringt. Auch der Weltmarktpreis etwa für Weizen war nach Beginn der Blockade sprunghaft gestiegen. Schon die Ankündigung der Verhandlungsparteien, dass es ein Abkommen über den Getreideexport geben werde, hatte den Preis etwas sinken lassen.

Am 22. Juli hatten sich die Ukraine und Russland schließlich geeinigt. Die beiden Länder verpflichteten sich, für Frachtschiffe sichere Korridore durchs Schwarze Meer zu garantieren. Die Vereinten Nationen und die Türkei hatten vermittelt. Doch nur einen Tag nach der Einigung beschoss Russland den Hafen von Odessa mit Raketen. Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenskij warf der russischen Führung vor, das Abkommen bewusst zu unterminieren. Ungeachtet dessen ist in Istanbul wenig später ein Koordinierungszentrum für den Getreideexport in Betrieb gegangen, in dem Vertreter der Ukraine, Russlands, der Türkei und der UN die Routen überwachen sollen.

Dies bleibt jedoch vorerst der einzige Bereich, in dem die Kriegsparteien kooperieren. Über die Frage, wer Schuld hat an dem Angriff auf ein Gefangenenlager im Donbass, gibt es weiter Streit. Bei der Explosion am Freitag waren nach übereinstimmenden Angaben 50 ukrainische Kriegsgefangene gestorben. Russland beschuldigt die Ukraine, das Lager in der Ortschaft Oleniwka in von Moskau kontrolliertem Gebiet mit Himars-Mehrfachraketenwerfern beschossen zu haben. Kiew wirft den russischen Streitkräften vor, die Attacke selbst verübt zu haben. Das Rote Kreuz verlangte erneut Zugang zu der Anlage.

Präsident Selenskij verurteilte zudem neue Raketenangriffe auf Mykolajiw, bei denen mehrere Zivilisten getötet wurden - darunter einer der reichsten Geschäftsmänner der Ukraine, der Getreidemagnat Oleksij Wadaturksyj. Selenskij warnte auch davor, die russische Militärführung beordere Truppen aus dem Donbass in Richtung der südlichen Front, die sie als Schwachpunkt ausgemacht habe. Auch der britische Militärgeheimdienst sieht Anzeichen für eine Umgruppierung. Zuvor hatte Kiew noch alle Bewohner des Donbass aufgerufen, das Gebiet zu verlassen.

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