Ukraine-Konflikt:US-Geheimdienste warnen vor Fake-Videos, die einen Krieg provozieren sollen

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Ein ukrainischer Soldat verlässt seinen Schützengraben in der Region Donezk. (Foto: Anatolii Stepanov/AFP)

"Es zeigt den Grad an Zynismus, mit dem Russland operiert", sagt der stellvertretende Nationale US-Sicherheitsberater Putins Regierung wolle mit gefälschten Videos von einem ukrainischen Angriff eine Eskalation herbeiführen.

Von Fabian Fellmann, Washington

Das Drehbuch scheint bereits in allen Details vorzuliegen: Soldaten in ukrainischen Uniformen marschieren auf, Explosionen zerstören Gebäude, in den Trümmern liegen Leichen, Russen eilen herbei und beklagen tränenreich die Opfer. Ein brutaler Angriff, der Russland keine andere Wahl lässt, als Truppen für einen Friedenseinsatz - sprich Einmarsch - in die Ukraine zu entsenden.

Ein solches Szenario bereite Russland vor, warnen amerikanische Geheimdienste. Die Informationen ließen sie diese Woche an diverse US-Medien durchsickern, worauf mehrere Sprecher der Biden-Administration öffentlich bekräftigten: Moskau habe Videos mit fingierten Angriffen von Ukrainern auf Russen geplant oder bereits drehen lassen, um daraus einen Kriegsgrund gegen das westliche Nachbarland zu drechseln.

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Überprüfbare Belege lieferten die Amerikaner dafür nicht, sie schilderten die Pläne aber in einer Detailtiefe, der keine Zweifel offen lassen soll: Der russische Geheimdienst FSB wolle echte Leichen benutzen, die Videos sollen auch türkische Drohnen des Typs Bayraktar TB2 zeigen, welche die ukrainische Armee einsetzt.

Fingierte Videos seien Teil der russischen Desinformationskampagne, sagte Ned Price, Sprecher des US-Außenministeriums. Moskau habe schon in der Vergangenheit wiederholt zu solchen Taktiken gegriffen. Beispiele für Täuschungsmanöver, um Kriegsgründe zu fabrizieren, sind in der Geschichte auch bei anderen Ländern zuhauf zu finden. Etwa die Angriffe der SS auf deutsche Grenzposten, die Hitler Polen anlastete, um den Überfall von 1939 zu rechtfertigen.

US-Sicherheitsberater: "Es zeigt den Grad an Zynismus, mit dem Russland operiert"

Die Regierung von Joe Biden will die russischen Pläne nun durchkreuzen, indem sie sie schon vorher publik macht. "Wir wissen nicht, ob Russland wirklich diesen Weg wählen wird. Aber sie diskutieren es", sagte der stellvertretende Nationale Sicherheitsberater, Jon Finer, auf MSNBC. "Es zeigt den Grad an Zynismus, mit dem Russland operiert." Gelinge es nicht, Russland von dem Angriff abzuhalten, sei zumindest allen klar, dass die Kriegsgründe gefälscht seien. Das helfe, alle Alliierten bei der Stange zu halten.

Innerhalb weniger Wochen haben Nato-Länder mehrmals sonst streng geheim gehaltene Geheimdienstinformationen veröffentlicht. Bereits Anfang Dezember hatten die USA gewarnt, Putin werde 175 000 Soldaten zusammenziehen. Ende Januar warnte die Regierung von Boris Johnson, Russland habe Saboteure in die Ukraine geschickt, um Vorwände für einen russischen Einfall zu liefern.

Die öffentliche Geheimdienstdiplomatie ist eine Abweichung der üblichen Diskretion in diesem Geschäft, die nicht nur dem Schutz der Quellen dient, sondern auch eine Eskalation verhindern soll. Diesmal aber haben sich die Amerikaner für eine andere Taktik entschieden: Sie publizieren laufend Informationen über mögliche künftige Schachzüge Russlands. Gleichzeitig versuchen sie mit der Drohung weitreichender Sanktionen, den Preis für eine russische Militäraktion in der Ukraine in die Höhe zu treiben.

Die forsche Gangart weckt Befürchtungen. Wochenlang redeten die Amerikaner von einem unmittelbar bevorstehenden Angriff, bis der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj widersprach. Auch in den USA wächst das Unbehagen. Am Donnerstag lieferte sich ein Reporter der amerikanischen Nachrichtenagentur AP ein Wortgefecht mit dem Sprecher des Außenministeriums, weil der keine Belege für die russischen Drehbücher vorweisen konnte. Die US-Geheimdienste hätten auch über angebliche Massenvernichtungswaffen im Irak berichtet, rief der Reporter in Erinnerung.

US-Senat will rasch Sanktionen beschließen für den Fall eines Angriffs

Russland nahm den inneramerikanischen Disput dankbar auf: Die staatliche Agentur Itar-Tass titelte sogleich, das US-Außenministerium weigere sich, Beweise zu liefern. Das russische Außenministerium kommentierte kühl, die USA hätten schon wiederholt fälschlicherweise solche Vorwürfe erhoben.

In den USA warnen auch besonnene Kommentatoren zunehmend vor den Risiken der öffentlichen Geheimdienstdiplomatie: Gelinge das Unterfangen, Wladimir Putin seiner Handlungsoptionen zu berauben, bleibe ihm am Ende vielleicht nur noch die Flucht nach vorn. Dann hätten die Nato-Länder ungewollt zur Eskalation des Konflikts beigetragen.

Im Kongress erhält Biden bisher fast geschlossene Rückendeckung. Nach einem geheimen Briefing über die aktuelle Lage zeigten sich Senatoren beider Parteien am Donnerstag besorgt. Sie wollen nun so schnell wie möglich ein Gesetz mit drastischen Sanktionen gegen Russland verabschieden. Dabei hofften sie, dass Putin ihnen nicht mit einer Invasion in die Ukraine zuvorkommt.

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