Ukraine-Konflikt:Einen Sieg wird es nicht geben

Members of the Ukrainian armed forces ride on an armoured personnel carrier (APC) near Debaltseve

Ukrainische Soldaten nahe der ostukrainischen Stadt Debalzewe.

(Foto: REUTERS)

Die USA bestehen auf einer harten Haltung gegenüber Russland. Und Kiew wird - mit den Amerikanern im Rücken - nicht auf eine Abrechnung mit den Separatisten verzichten. Solange das droht, ist jeder Waffenstillstand brüchig.

Von Erhard Eppler

Redet Angela Merkel über den Ukraine-Konflikt, so tut sie es mit ernster, trauriger Miene. Sie hätte Russland lieber als Partner denn als Gegner, aber der sture Putin lebt eben in seiner Welt. Diese Haltung begleitete die Kanzlerin auf ihren Reisen nach Kiew, Moskau, Washington. Das Treffen mit dem US-Präsidenten ergab kaum Neues, es herrscht dort weiterhin der Ton des Triumphes, mit dem Obama in seinem Bericht zur Lage der Nation das Thema behandelte: kurz, aber deutlich.

Zur Person

Erhard Eppler, 88, war von 1968 bis 1974 Minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und bis 1992 Mitglied der Grundwertekommission der SPD.

Die USA nutzten ihre Stärke, sagte er, um dem Grundsatz Kraft zu verleihen, dass die größeren Nationen die kleineren nicht schikanieren dürfen. Noch im Frühjahr 2014 hätten "some folks" Putins Handeln für ein meisterhaftes Stück einer Strategie der Stärke gehalten. Aber jetzt, im Januar 2015: "America stands strong and united with our allies, while Russia is isolated with its economy in tatters."

So sieht amerikanische Führung aus

Drei Ziele habe er erreicht: Die Nato funktioniert wieder, Russland ist isoliert, die Wirtschaft des Landes liegt in Scherben. "That's how America leads." So sieht amerikanische Führung aus.

Zu dem, was Frau Merkel umtreibt, kein Wort. Was die USA erreichen wollten, haben sie erreicht, und zwar durch den Konflikt, nicht durch seine Beilegung. Die könnte das Erreichte eher gefährden. Das erklärt den giftigen Streit zwischen Europäern und Amerikanern auf der Münchner Sicherheitskonferenz.

In Deutschland gibt es nicht wenige erfahrene Außenpolitiker, die Putins Politik nicht unter dem Stichwort Aggression abhandeln. Immerhin hatte er sich vorher ein Dutzend Jahre vernünftig, zurückhaltend und oft auch kooperativ verhalten. Bis der Maidan eine Vereinbarung mit drei europäischen Außenministern kippte und eine Regierung einsetzte, die sofort die Konfrontation mit Russland suchte. Darauf hat Putin reagiert. Hätte er es nicht getan, die stolzen Russen hätten ihn zum Teufel gejagt. Aus der Defensive reagiert man nicht nach ausgefeilten Plänen, sondern spontan.

Im Übrigen: In Donezk oder Luhansk sind keine russischen Regimenter eingerückt, dort hat die ukrainische Polizei zugesehen, wie die Separatisten ein Rathaus nach dem anderen besetzt haben. Das entsprach der Volksstimmung im Osten.

Und was die Krim angeht, so hätte die westliche Empörung über die Annexion der Krim - der eine Sezession voranging - nur dann politische Kraft, wenn sie verbunden wäre mit einem Konzept, unter welchen Bedingungen die Krim wieder zur Ukraine zurückkehren könnte, ohne das Recht der Bevölkerung auf Selbstbestimmung zu verletzen. Die ukrainische Regierung würde die Bevölkerung nicht fragen, ob sie will. Die Nato auch nicht?

Europäische Politiker sehen keine militärische Lösung

Europäische Politiker, am deutlichsten die deutschen, wiederholen laufend, dass es für den innerukrainischen Konflikt keine militärische Lösung geben kann. Aber niemand widerspricht dem ukrainischen Präsidenten, wenn der das Jahr 2015 zum "Jahr des Sieges" ausruft und, wohl als Akteure dieses Sieges, zweimal 50 000 blutjunge Rekruten einberufen lässt. Solange die Separatisten - die ja bis heute für Kiew Terroristen sind - damit rechnen müssen, dass das, was Poroschenko "Sieg" nennt, für sie den Tod oder bestenfalls Jahrzehnte hinter Gittern bedeutet, werden sie ihre Haut so teuer wie möglich verkaufen.

Putin wird ihnen, das bestätigt auch das Interview des russischen Generals Buschinskij in der Süddeutschen Zeitung, so lange helfen, bis man in Kiew einsieht, dass es den "Sieg" nicht geben wird. Aber er wird wohl jedes Verhandlungsergebnis zwischen Kiew und den Separatisten billigen.

Damit könnte auch Europa leben. Einige in den USA auch. Andere, und sie können sich durchsetzen, ziehen den - durch Waffenlieferungen verschärften - Konflikt seiner Beilegung vor. Er könnte zum prestigeträchtigen Stellvertreterkrieg zwischen den Atommächten führen. Wer, wie Senator John McCain, Putin mit Hitler gleichsetzt, hat sich, ob er es weiß oder nicht, mit dem Krieg schon abgefunden. Denn Hitler hätte mit oder ohne westliches Appeasement seinen Krieg angezettelt. Ohne das Münchner Abkommen von 1938 eben ein Jahr früher. Unsere Chance liegt darin, dass Putin nicht Hitler ist.

Kiew setzt auf die amerikanische Karte

In Kiew setzt man auf die amerikanische Karte. Die USA im Rücken, wird man nicht auf die blutige Abrechnung mit den "Terroristen" verzichten. Solange dies droht und es für die Separatisten um ihre Haut geht, werden sie niemandem gehorchen, auch Putin nicht. Dann aber ist jeder Waffenstillstand brüchig.

Schon den jetzigen Zustand hält der russische General für brandgefährlich, weil daraus ein russisch-ukrainischer Krieg entstehen könnte - von dem Jazenjuk immer behauptet hat, es gebe ihn schon. Gäbe es ihn wirklich, so der General, wohl nicht ohne Auftrag, könnte der russischen Armee nichts anderes übrig bleiben, als bis nach Kiew vorzustoßen. Und das könnte den großen Krieg auslösen.

Wofür die Europäer eintreten

Es gibt also sehr verschiedene Interessen: europäische, (west-)ukrainische, amerikanische, russische. In Kiew muss man begreifen: Die Europäer, auch Deutsche und Franzosen, treten für eine Ukraine ein, welche die Chance bekommt, ein funktionierender, gesicherter, wirtschaftlich aufholender Staat zu werden, der politisch und ökonomisch an die EU heranrückt, aber nicht der Nato beitritt. Das aber gelingt nur, wenn auch Russland eine europäische Perspektive bekommt und bereit ist, mit der Ukraine vor allem wirtschaftlich zu kooperieren. Die EU allein kann die Ukraine nicht gegen Russland sanieren. Und sterben für und mit Kiew wollen die Europäer auch nicht.

Ukraine-Konflikt hat etwas Altmodisches

Unlösbar ist nicht der Ukraine-Konflikt, wohl aber der entscheidende Konflikt des frühen 21. Jahrhunderts: der zwischen dem gesamten Westen und der entstaatlichten Gewalt, die vor allem von fanatisierten Islamisten ausgeht. In diesem Konflikt haben sich weder Amerika noch Europa mit Ruhm bedeckt. Im Irak, in Syrien, in Nigeria sterben weit mehr Menschen als in der Ostukraine. Da ist für beide, Amerikaner und Europäer, noch viel zu tun. Wer da unser Bundesgenosse werden kann, den sollten wir nicht ohne Not zum Feind machen. Insofern hat der Ukraine-Konflikt etwas seltsam Altmodisches an sich. Das gilt für den ukrainischen - und inzwischen auch russischen - Nationalismus, aber auch für den Versuch, Nationalstaat zu spielen, wo es noch keine Nation gibt.

Barack Obama hat sich mit Angela Merkel darauf geeinigt, dass man nicht einig ist. Er will erst einmal abwarten, was in Minsk herauskommt. Hoffentlich interpretiert Poroschenko dies nicht so, dass er nur eine Einigung in Minsk verhindern muss, damit in Washington die Leute sich durchsetzen, die ihm Waffen liefern wollen.

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