Süddeutsche Zeitung

Ukraine-Konflikt:Der Unüberhörbare

Mit dem lauten Ruf nach Waffenlieferungen macht sich der ukrainische Botschafter in Berlin nicht beliebt. Das will er aber auch nicht.

Von Daniel Brössler, Berlin

Da war er wieder. Nicht zu übersehen. Bundesaußenministerin Annalena Baerbock sprach im Bundestag über den russischen Truppenaufmarsch an der Grenze zur Ukraine. Eine Zeit sei das, sagte die Grünen-Politikerin, "in der wir für unsere Werte eintreten müssen, eine Zeit, in der markige Sprüche gut klingen, aber Steilvorlagen für heftigste Konsequenzen sein könnten". Auf der Tribüne, Reihe eins, saß Andrij Melnyk, Botschafter der Ukraine. Aufmerksam verfolgte der Diplomat die Rede der deutschen Ministerin und die anschließende Debatte. Umgekehrt sah, wer unten sprach, aber auch den Botschafter und wusste: Er wird auch wieder reden. Bald.

So wie neulich, als Melnyk den Parteien der Ampelkoalition per Twitter mitteilte, ihr Koalitionsvertrag sei "keine heilige Schrift". Seit sieben Jahren ist Andrij Melnyk Botschafter seines Landes in Berlin. In dieser Zeit hat er es nie als seinen Job verstanden, vornehm zu schweigen oder sich in diplomatischen Andeutungen zu ergehen. In der aktuellen Krise aber spielt der 46-Jährige in Berlin fast so etwas wie die Rolle des einsamen Helden. "Es geht um alles oder nichts, um Sein oder Nichtsein", sagt er im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung. Gegen alle Widerstände will er Deutschland zu Waffenlieferungen an sein Land bewegen.

Den Verweis auf die restriktive deutsche Exportpolitik oder gar auf die deutsche Geschichte lässt der Botschafter dabei nicht gelten. Es gehe darum, argumentiert Melnyk, ob man bereit sei, "selbst auferlegte Grenzen zu überschreiten, wenn es um Krieg und Frieden geht". Aus Kiew hat er eine Liste mit 15 Positionen bekommen, die er demnächst ins Deutsche übersetzt als Note im Auswärtigen Amt übergeben will. "Keine Panzer, keine Haubitzen, keine Flugzeuge und auch keine Schiffe" seien auf der Wunschliste, sagt er. Alles andere liege auf dem Tisch. Einen "Lackmustest" nennt Melnyk das.

In Berlin gilt er vielen als Nervensäge

Am 14. Februar will Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) Kiew besuchen, nachdem er in Washington war und bevor er nach Moskau reist. Melnyk begrüßt den Besuch, aber er sagt auch: "Wenn der Kanzler mit leeren Händen kommt, wird er nicht mit Begeisterung empfangen." Als Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) kürzlich die Lieferung von 5000 Helmen an die Ukraine verkündet und das als "ganz deutliches Signal" der Solidarität gefeiert hatte, sprach Melnyk von einem "Tropfen auf dem heißen Stein".

Was die ukrainische Enttäuschung ziemlich gut auf den Punkt brachte, aber auch das eine oder andere Fass zum Überlaufen. Die Helme seien doch ein ukrainischer Wunsch gewesen, empörten sich Melnyks deutsche Diplomatenkollegen. Wie überhaupt Kopfschütteln oder hochgezogene Augenbrauen sich als typische Reaktionen auf Stellungnahmen des Botschafters eingebürgert haben.

Der Ukrainer gilt als Nervensäge. Vielfach wird er gar nicht mehr vorgelassen. Beim SPD-Politiker und Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, Michael Roth, beschwerte sich Melnyk sogar per Twitter über den ausbleibenden Gesprächstermin. Auch der außenpolitische Berater von Kanzler Olaf Scholz (SPD), Jens Plötner, oder Baerbocks Staatssekretär Andreas Michaelis hatten bisher keine Zeit für Melnyk. Im Auswärtigen Amt wurde Melnyk schon mal mahnend zur Rede gestellt. Und in Kiew, so wird in Berlin kolportiert, werde die undiplomatische Art des Botschafters auch nicht goutiert.

Stille Diplomatie stoße auf "taube Ohren"

Ganz stimmen kann das nicht. Vergangenes Jahr erhielt Melnyk einen Orden für seinen "bedeutenden persönlichen Beitrag zur Stärkung der internationalen Zusammenarbeit der Ukraine, langjährige fruchtbare diplomatische Tätigkeit und hohe Professionalität". Melnyk selbst ist überzeugt, mit stiller Diplomatie auf nichts anderes zu stoßen als auf "taube Ohren". Als Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier ausgerechnet die umstrittene Ostsee-Pipeline Nord Stream 2 als eine der letzten "Brücken" nach Russland verteidigte und auf 20 Millionen Menschen verwies, die dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion zum Opfer gefallen seien, warf er dem Staatsoberhaupt Zynismus vor. Die Gleichsetzung Russlands mit der Sowjetunion sei abwegig.

Tatsächlich spricht der Botschafter auch heute vielen Ukrainern aus dem Herzen, wenn er die deutsche Geschichte als Argument für Waffenlieferungen zurückweist, stammte doch ein großer Teil der sowjetischen Kriegstoten aus der Ukraine. Der Imageschaden für Deutschland sei schon jetzt massiv, warnt er. Daran ändere auch die erhebliche deutsche Wirtschaftshilfe nichts. "Wenn es um Krieg oder Frieden geht", sagt Melnyk, "lautet die Frage: Seid ihr mit uns oder nicht?"

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