Orthodoxe Kirchengründung in Ukraine:Der Schritt war längst überfällig

Orthodoxe Kirchengründung in Ukraine: Der ukrainische Präsident Petro Poroshenko neben dem Oberhaupt der neu gegründeten orthodoxen Kirche der Ukraine, Sergiy Dumenko.

Der ukrainische Präsident Petro Poroshenko neben dem Oberhaupt der neu gegründeten orthodoxen Kirche der Ukraine, Sergiy Dumenko.

(Foto: AFP)

Es war an der Zeit für die Gründung einer eigenständigen orthodoxen Kirche in dem Land. Doch der Akt ist auch eine Kampfansage an den russischen Präsidenten Putin, die ein hohes Risiko für die Ukraine birgt.

Von Florian Hassel, Warschau

Hätte ein politischer Vordenker vor einigen Jahren vorschlagen sollen, wie die politisch und kulturell so disparate Ukraine sich als Nation festigen könne, er hätte keinen effektiveren Plan entwickeln können als das Vorgehen Moskaus seit 2014. Mit der Annexion der Krim, dem Krieg in der Ostukraine und der Neuauflage der von der russisch-orthodoxen Kirche maßgeblich mitgetragenen Ansprüche auf ein - wenn nicht geografisches, so mindestens kulturell dominiertes - Imperium unter Moskauer Führung, hat Russland die Stärkung ukrainischer Nationalität massiv befördert.

Die längst fällige Gründung und Anerkennung einer eigenständigen orthodoxen Kirche der Ukraine ist der nächste Schritt auf diesem Weg. Präsident Petro Poroschenko, der um sein politisches Überleben ringt, hat bei der Vorbereitung der kirchlichen Unabhängigkeit eine dominierende Rolle gespielt. Doch viele Ukrainer lehnen Politiker allgemein ab, erst recht aber Poroschenko. Die neue Kirche muss erst noch beweisen, dass sie mehr sein will als eine bedingungslos mit den Mächtigen verbundene Staatskirche.

Die Stärkung ihrer kulturellen Identität auch im kirchlichen Bereich dürfte für die Ukrainer hohe Kosten nach sich ziehen. Vor einigen Jahren war Andrej Illarionow, früher Berater von Präsident Wladimir Putin, einer der wenigen, die die Annexion der Krim voraussagten. Jetzt sagt Illarionow unter Berufung auf seine alten Kontakte, dass Putin den Verlust der ukrainischen Unterordnung unter die russisch-orthodoxe Kirche als ebenso große Katastrophe ansehe wie etwa das Ende des Zarenreiches oder der Sowjetunion.

Dies ist plausibel: Der Führungsanspruch Russlands in der slawischen Welt beruht ja mangels politischer und wirtschaftlicher Konkurrenzfähigkeit ausschließlich auf der angeblichen kulturellen und spirituellen Überlegenheit gegenüber dem angeblich dekadenten Westen.

Bricht mit der Ukraine für Moskau das wichtigste religiöse Kronjuwel weg, so ist dies eine Kampfansage, die der in seiner politischen Karriere immer stark in Kategorien von Ehre und Rache denkende und handelnde Putin kaum ohne Antwort lassen wird - erst recht nicht, nachdem Poroschenko die Vorstellung des neuen Vorsitzenden der neuen ukrainischen Kirche zu etlichen rhetorischen Breitseiten gegen Putin nutzte. Schon bisher war ein Moskauer Entgegenkommen in der Ostukraine oder bei anderen Fragen unwahrscheinlich - jetzt ist es in noch weitere Ferne gerückt.

Die Putin zuarbeitenden Ideologen, denen die jetzt existierenden Marionettenregime in Donezk oder Lugansk nicht reichen, dürften ihre Vorschläge wiederholen, die von Moskau kontrollierten Teile der Ostukraine schlicht zu annektieren. Putin - oder gegebenenfalls ein noch radikalerer Nachfolger - könnte in der Ukraine bei Bedarf auch Kirchenkonflikte an passender Stelle schüren, bis hin zu blutiger Gewalt.

Und unter dem Vorwand des "Schutzes russisch sprechender Orthodoxer" könnte Moskau auch in anderen Teilen der Ukraine eingreifen und etwa versuchen, in der Region Cherson Teile des ukrainischen Wassersystems unter Kontrolle zu bekommen und die Krim dauerhaft mit Wasser versorgen zu können - das drängendste strategische Problem des Kreml auf dem annektierten Territorium. Poroschenko und die Kirche haben einen risikoreichen Weg eingeschlagen.

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