Ukraine:Kirche ohne Putin

Orthodoxe Kirche in der Ukraine

Präsident Poroschenko (Mitte links) und der Metropolit Emmanuel (Mitte rechts) sprechen während der Synode in der Sophienkathedrale miteinander.

(Foto: dpa)
  • Eine Synode der orthodoxen ukrainischen Kirchen hat den Zusammenschluss der Kirche des Kiewer Patriarchats (KP) mit der selbständigen ukrainischen Kirche (UAOK) zu einer neuen, unabhängigen Kirche beschlossen.
  • Bisher unterstanden die ukrainischen orthodoxen Kirchen dem Patriarchat in Moskau.
  • Der Vorgang könnte zur größten Kirchenspaltung der Orthodoxie seit Jahrhunderten führen.

Von Florian Hassel

Gläubige Ukrainer haben lange auf diesen Tag gewartet. Am Samstag trafen sich 192 Amtsträger der orthodoxen ukrainischen Kirchen in der Kiewer Sophienkathedrale zur Vereinigungssynode. Auf dem großen Platz vor der Kirche schwenkten Tausende Ukrainer blau-gelbe Flaggen und hielten sich bei Schnee und zwei Grad unter Null mit Singen oder Glühwein warm.

Vielen standen die Tränen in den Augen angesichts des bevorstehenden Ereignisses, das schon jetzt zu einem der bedeutendsten in der Geschichte der Ukraine und der orthodoxen Kirche gehört. Es ging um die Gründung und Anerkennung einer eigenständigen (autokephalen) ukrainischen Kirche, die nicht mehr wie die letzten gut 300 Jahre dem Patriarchen von Moskau untersteht. Stattdessen sollte die neue ukrainische Kirche unter nomineller Aufsicht des Patriarchen von Konstantinopel stehen, dem Ersten unter Gleichen aller orthodoxen Kirchenfürsten, die weltweit über 300 Millionen Gläubige führen.

Das neue Kirchenoberhaupt ist erst 40 Jahre alt

Und so kam es auch. Die Synode beschloss die Vereinigung der 1992 von der russischen orthodoxen Kirche getrennten Kirche des Kiewer Patriarchats (KP) mit der schon 1919 gegründeten selbständigen ukrainischen Kirche (UAOK) zur Ukrainischen Autokephalen Orthodoxen Kirche. Präsident Poroschenko saß neben den führenden Bischöfen auf dem Präsidiumspodest, als die Wahlmänner (64 Bischöfe, 64 Priester und 64 Laien) in einem ersten Wahlgang drei Kandidaten für das Amt des Oberhaupts der neuen Kirche bestimmten. Die Bischöfe bestimmten dann im zweiten Wahlgang den Sieger.

Es gewann der Favorit: Der erst 40 Jahre alte Epiphanius, Oberster Bischof von Perejaslaw und Bila Zerkwa. Der auch als Rektor und Professor der Kiewer Orthodoxen Theologischen Akademie bekannte Theologe (bürgerlicher Name: Sergej Dumenko) ist früherer Sekretär und enger Vertrauter des bisherigen Führers des Kiewer Patriarchats, Patriarch Filarets.

Ukrainischen Medien zufolge bestand der Patriarch von Konstantinopel darauf, dass nicht Filaret selbst die neue vereinigte Kirche führen sollte - möglicherweise, um eine spätere Wiederannäherung an die russische Kirche nicht auszuschließen. Dort gilt Filaret als Erzfeind. Der bisherige Kiewer Patriarch dürfte allerdings auch in der neuen Konstellation faktisch die echte Autorität der Kirche bleiben, mutmasst die in Kirchendingen gut informierte Ukrainska Pravda.

Poroschenko feiert die "endgültige Unabhängigkeit" von Russland

Der neue Kirchenführer Epiphanius hat - anders als viele ältere orthodoxe Kirchenführer - nicht in Russland studiert, sondern in der Ukraine und in Griechenland. Am 6. Januar wird er in Istanbul bei einem gemeinsamen Gottesdienst am orthodoxen Heiligabend vom Patriarchen Bartholomäus I. die formelle Anerkennung als eigenständige orthodoxe Kirche, den so genannten Tomos, bekommen.

Dem Entwurf des neuen Kirchenstatuts zufolge wird die neue ukrainische Kirche zwar selbständig sein, aber unter formeller Oberhoheit des Patriarchen von Konstantinopel stehen. Und der neue Primat Epiphanius soll nicht den Titel eines Patriarchen tragen, sondern nur den nachgeordneten eines Metropoliten.

Nach der Wahl präsentierte Poroschenko das neue Kirchenoberhaupt der wartenden Menge auf dem Sophienplatz, über den bald "Ruhm! Ruhm!"-Rufe hallten. "Dies ist der Tag der endgültigen Erlangung unserer ukrainischen Unabhängigkeit von Russland. Die Ukraine wird nicht mehr, wie Schewtschenko (Nationaldichter der Ukraine, Anm. d. Redaktion) sagte, Moskauer Gift aus Moskauer Tassen trinken!", rief Poroschenko.

Keine Gebete mehr für russische Macht

Die neue, vereinigte orthodoxe Kirche der Ukraine werde eine "Kirche ohne Putin" sein, "ohne Gebete für die russische Macht und die russische Armee". Poroschenko, der die Vereinigung der beiden ukrainischen Kirchen aktiv unterstützt hatte, versprach, dass es in der Ukraine keine Staatskirche geben werde.

Als Epiphanius schließlich das Wort ergriff, rief er alle orthodoxen Ukrainer auf, der neuen Kirche beizutreten. "Es hat uns sehr beflügelt, dass wir alle Hindernisse auf diesem schwierigen Weg überwunden haben. Gott hat unsere Bitten erhört und uns diese erhoffte Einheit gegeben. Die Türen unserer Kirche sind offen für alle", sagte Epiphanius.

Die eigenständige Kirche ist für viele Ukrainer ein epochaler Schritt auf dem Weg zur weiteren Emanzipierung von Russland. Vier Fünftel der Ukrainer bezeichnen sich als orthodox. Einer am 4. Dezember veröffentlichten Umfrage des Pew-Institutes zufolge hält die Hälfte der Ukrainer Religion für einen wichtigen Teil ihrer nationalen Identität (in Deutschland glaubt dies rund ein Drittel).

Abgrenzung von der russischen orthodoxen Kirche

Die größte orthodoxe Kirche der Ukraine ist bisher die, die dem Moskauer Patriachat folgt. Ihr Vorsitzender hatte die Einladung zur Synode abgelehnt. Trotzdem nahmen dem Kiewer Patriarchat zufolge auch zehn Bischöfe der moskautreuen Kirche an dem Treffen teil. Nachrichten kamen freilich nur zensiert und dünn dosiert aus der Kathedrale: Ukrainischen Medien zufolge mussten auch die Bischöfe ihre Mobiltelefone am Eingang abgeben.

Nur der Pressedienst von Präsident Poroschenko schickte Fotos und Nachrichten: etwa Auszüge einer Ansprache des - früher selbst der moskautreuen orthodoxen Kirche folgenden - Präsidenten. In der sagte Poroschenko, dass die Ukraine "nicht das kanonisch rechtmäßige Territorium der russischen Kirche ist, es nicht war und auch nicht sein wird". Mit der Entscheidung, der vereinigten ukrainischen Kirche die Unabhängigkeit zu gewähren, habe Batholomäus I. die illegale Annexion der Kiewer Kirche Ende des 17. Jahrhunderts anerkannt. "Unsere orthodoxe Kirche untersteht nicht der russischen orthodoxen Kirche", sagte Poroschenko den Bischöfen vor ihren Wahlgängen.

Putin könnte sich für den Affront rächen

Die Synode von Kiew und die folgende formelle Bestätigung am 6. Januar könnten zur größten Spaltung der orthodoxen Kirche seit Jahrhunderten führen. Der Moskauer Patriarch brach schon im Oktober alle Beziehungen zum Patriarchen in Konstantinopel ab. Etliche Fragen sind noch zu klären: Werden bisher moskautreue Bischöfe und Priester in Massen zur neuen ukrainischen Kirche überlaufen oder nicht? Bleibt der Kirchenkampf, bei dem es auch über die Kontrolle über Tausende Kirchen und mit ihnen verbundene Pfründe geht, friedlich? Und wie reagiert der Kreml auf diesen herben Verlust?

Dem russischen Präsidenten Wladimir Putin stehen zahlreiche Möglichkeiten offen, sich für den Affront zu rächen. Er könnte seinen Geheimdiensten befehlen, noch stärker als ohnehin schon mit der Förderung von Extremisten und Anschlägen in der Ukraine zu arbeiten; er könnte den Krieg in der Ostukraine wieder aktivieren; das langsame Abschnüren des Asowschen Meeres und des ukrainischen Hafens Mariupol noch beschleunigen.

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