Süddeutsche Zeitung

Ukraine:Kiews unheimliche Verbündete

Ein gewaltsamer Zwischenfall in der Westukraine zeigt: Die rechtsextreme Freiwilligen-Miliz des Pravij Sektor macht gegen die Regierung in Kiew mobil. Das könnte das geschundene Land endgültig ins Chaos stürzen.

Kommentar von Cathrin Kahlweit

Pessimisten haben es kommen sehen: Die Freiwilligen-Bataillone in der Ukraine, so die allgegenwärtige Sorge in Kiew, würden eines Tages mobil machen gegen die gewählte Regierung. Wenn es nicht gelänge, die rechten Milizen einzubinden und zu demokratisieren, die teils aus den Selbstverteidigungskräften des Maidan-Aufstandes entstanden, teils aber auch von Oligarchen für den Krieg gegen die Separatisten im Osten ausgerüstet worden sind, dann würden diese bald schon die Macht übernehmen. Diese Ultranationalisten, so die Pessimisten weiter, hielten sich für die besseren Soldaten und für die besseren Ordnungskräfte. Und wenn sie unzufrieden seien mit Armee oder Kabinett, dann würden sie die Waffen nicht etwa gegen prorussische Soldaten, sondern gegen Kiewer Politiker richten.

Nun hat diese Sorge konkrete Nahrung bekommen, und offenbar ist die Regierung so nervös, dass ein hochrangiger Mitarbeiter des Nationalen Sicherheitsrates die Panik in Worte fasst: "Das könnte der Wendepunkt für die neue Ukraine sein. Heute oder morgen heißt es: die Freiwilligen gegen den Staat. Es ist bitterernst."

Der rechtsextreme Rechte Sektor macht gegen die Regierung mobil

Ausgelöst wurde diese Panik durch einen bewaffneten Konflikt in einem kleinen Ort in den Karpaten nahe der ungarischen Grenze, der anfangs eher den Charakter eines mafiösen Bandenkriegs zu haben schien, sich aber nun schnell zu einem landesweiten Machtkampf entwickeln könnte: In der Westukraine lieferten sich am Wochenende bewaffnete Anhänger des Pravij Sektor (Rechter Sektor) eine Schießerei mit lokalen Wachleuten eines Parlamentsabgeordneten. Es soll um Zigarettenschmuggel gegangen sein. Der Versuch der Polizei, die Milizionäre des rechtsextremen Pravij Sektor zu entwaffnen, scheiterte; die Milizionäre haben sich in den Wäldern verschanzt. Ihre Organisation droht nun aus Protest gegen das Vorgehen der Behörden mit einem Marsch auf Kiew. Derzeit warnen die Sicherheitskräfte sogar vor einem "Blutbad". Anhänger der Miliz blockierten den Zugang zum Präsidentenpalast und haben Straßensperren vor der Hauptstadt errichtet, während Polizisten im Westen die Hauptquartiere des Pravij Sektor zu umzingeln versuchten.

Die Eskalation zeigt, dass es bisher nicht ausreichend gelungen ist, die diversen Freiwilligenverbände - und hier vor allem die ultranationalistischen Bataillone unter ihnen - in die Befehlsstrukturen von Armee und Nationalgarde einzubinden. Der paramilitärische Arm des Pravij Sektor etwa kämpft gemeinsam mit der ukrainischen Armee gegen die Separatisten; Ausrüstung und Sold der Freiwilligen stammen aber weitgehend aus Spenden, viele Soldaten nehmen Befehle nur von ihren eigenen Kommandeuren oder dem obersten Chef, Dmitri Jarosch, entgegen. Die Behauptung von Regierung und Generalstab, die Milizen hätten sich dem Befehl der Armee in der "Antiterrorzone" unterstellt, wird von Nichtregierungs- und Hilfsorganisationen immer wieder mit Gegenbeweisen konterkariert.

Dramatischer aber vielleicht als der schlecht koordinierte Einsatz gegen die Separatisten ist die Drohung der Gruppen mit einem "dritten Maidan", wenn die Regierung in Kiew nicht die geforderten Erfolge vorweisen kann. Der eigenmächtige Einsatz gegen organisierte Schmuggler in der Westukraine zeigt, dass sich der Pravij Sektor als Privatpolizei versteht, die Ordnung schaffen und Korruption bekämpfen will, wo der Staat versagt. Die straff organisierte Miliz legt damit einerseits offen, wo es stinkt im Staate Ukraine, aber sie untergräbt damit gleichzeitig das Gewaltmonopol. Kein Wunder, dass die Regierung die Schießerei in den Karpaten sehr ernst nimmt: Wenn sich dem Pravij Sektor andere Bataillone und empörte Bürger anschließen, gibt es eine zweite Front.

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Quelle:
SZ vom 14.07.2015
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