Ukraine:Historisches Abkommen in aller Stille

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Nach fast zehnjährigen Verhandlungen über die Visaliberalisierung dürfen Ukrainer nun visafrei in die EU reisen. Russland reagiert hämisch auf die Annäherung zwischen Brüssel und Kiew .

Von Frank Nienhuysen, München

Sogar in der Ukraine geht es fast unter im Rausch des Eurovision Song Contests, aufflammender Kämpfe und der angekündigten Blockade russischer Netzwerke und Suchmaschinen: Das Land rückt ein Stück weit an die Europäische Union heran. Am Mittwoch unterzeichneten die EU und die Ukraine in Straßburg ein Dokument, mit dem die Ukrainer visafrei in die EU einreisen dürfen. Als das Europaparlament die Entscheidung vor wenigen Wochen mit großer Mehrheit billigte, sprach Präsident Petro Poroschenko von einer "historischen Abstimmung" und einer "verdienten Auszeichnung der Ukrainer für ihren Glauben an die europäische Idee".

Moskau reagiert hämisch auf die Annäherung: Arbeiten dürften die Ukrainer ja nicht

Fast zehn Jahre lang hatten Brüssel und Kiew über die Visaliberalisierung verhandelt. Doch als das Land die Bedingungen erfüllt hatte, wurde es hingehalten - weil Einreise-Erleichterungen in Zeiten der Flüchtlingskrise der EU nicht sonderlich passend erschienen. Jetzt wird Kiews Wunsch erfüllt. Alle Ukrainer dürfen mit Inkrafttreten des Abkommens - voraussichtlich am 11. Juni - für 90 Tage in die Länder der Europäischen Union einreisen, außer nach Großbritannien und Irland, dafür aber in die Schengen-Staaten Norwegen, Island, Liechtenstein und die Schweiz, die nicht der EU angehören. Voraussetzungen sind ein biometrischer Reisepass, eine Krankenversicherung und die glaubhafte Absicht, zurückzureisen. Arbeiten dürfen die Ukrainer in der EU mit der visafreien Einreise nicht. Aus Moskau waren deshalb hämische Worte zu hören. "Dieses sogenannte visafreie Regime" sei "eine hingehaltene Möhre", sagte der russische Vizeaußenminister Alexej Meschkow. "Mit einer Arbeitserlaubnis hat das nichts zu tun." Russland hat allerdings mit der Annexion der Krim und der Unterstützung der prorussischen Separatisten in der Ostukraine einen großen Anteil daran, dass der Ukraine die Annäherung an die EU so schwer wie möglich gemacht wurde.

Mit der Visaliberalisierung setzt die EU indes ihren Weg fort, den Austausch mit Staaten der ehemaligen Sowjetunion zu stärken. Vor drei Jahren trat die Visafreiheit für Moldauer in Kraft, seit Ende März dieses Jahres können auch Georgier für drei Monate in die EU einreisen.

"Gerade wir Deutsche wissen aus eigener Erfahrung, wie wichtig Reisefreiheit ist", ist aus dem Auswärtigen Amt in Berlin zu hören. "Sie ist ein wichtiges Element der Annäherung, die wir mit den Ländern der Östlichen Partnerschaft anstreben. Mit Georgien und der Ukraine haben wir in den letzten Jahren hart daran gearbeitet."

Eine Art Notbremse hat die EU für alle Fälle auch eingebaut. Sollte die neue Reisefreiheit missbraucht werden, könnte Brüssel die Liberalisierung wieder aussetzen. Kiew aber setzt derweil auf eine weitere Annäherung. In den nächsten Wochen könnten die Niederlande als letzter EU-Staat über das Assoziierungsabkommen mit der Ukraine beraten. Sollte Den Haag ratifizieren, würde der Vertrag in Kraft treten - für Kiew ein wichtiger Schritt in schweren Zeiten.

© SZ vom 18.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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