Hilfe im Ukraine-Krieg:Mit sieben Bussen nach Kiew

Hilfe im Ukraine-Krieg: "Wir können nur Einzelne rausholen. Für die bedeutet es aber alles", sagt Janine von Wolfersdorff. Busse vor der Abfahrt aus Kiew.

"Wir können nur Einzelne rausholen. Für die bedeutet es aber alles", sagt Janine von Wolfersdorff. Busse vor der Abfahrt aus Kiew.

(Foto: Stadtverwaltung Kiew)

Nicht nur das Rote Kreuz bringt Menschen in der Ukraine in Sicherheit. Janine von Wolfersdorff, von Beruf Steuerberaterin, organisiert Aktionen, um Schwangere und Mütter mit behinderten Kindern direkt nach Deutschland zu holen.

Interview von Nina von Hardenberg

Wer Janine von Wolfersdorff in diesen Tagen eine Nachricht schreibt, bekommt Minuten später Antwort. Sie chattet und mailt sowieso den ganzen Tag: mit dem Team von Vitali Klitschko in Kiew, mit dem Roten Kreuz, der Stadt München und hundert privaten Unterstützern. Über einen privaten Hilfseinsatz, der an die Grenzen geht.

SZ: Frau von Wolfersdorff, wir alle sehen den Krieg in der Ukraine und leiden mit den Menschen. Aber Sie werden über Nacht zur Retterin. Wie kam es dazu?

Janine von Wolfersdorff: Es fing mit einem Crowdfunding an. Ein Freund sammelte Geld für einen Manager aus Kiew, der sich von einer Sicherheitsfirma rausholen lassen wollte. Das ist nämlich alleine gar nicht mehr so einfach. Es gibt zum Beispiel fast kein Benzin mehr. 3000 bis 5000 Euro sollte die private Rettung kosten. Ich dachte sofort an die Frauen und Kinder, die das sicher nicht zahlen können. Und die sich, vielleicht weil sie ein Kind im Rollstuhl haben oder selbst hochschwanger sind, auch nicht in das Chaos der Evakuierungszüge wagen.

Mit dem Crowdfunding wollten wir einigen solchen Frauen helfen. Es kam schnell viel Geld zusammen, mittlerweile sind es 110 000 Euro. Aber die Sicherheitsfirma, die den Transport organisieren sollte, sprang uns ab. Dann traf ich Adrian Rauko, der sagte, das können wir auch selbst organisieren, und sogar billiger.

Eine gewagte These, ein gewagtes Projekt ...

Rauko, der jetzt mit mir das ganze Projekt leitet, war Soldat bei einer Sondereinheit des österreichischen Militärs. Heute hat er selbst eine Sicherheitsfirma. Er kennt sich aus. Wir haben gar nicht diskutiert, es ging rasend schnell. Uns wurden direkt von privaten Firmen drei Busse angeboten. Am 9. März, fünf Tage nach dem ersten Crowdfunding, ging die erste Tour los. Am Mittwoch ist schon die dritte gestartet, mit sechs Bussen aus Berlin und Wien und einem Bus, der in der Ukraine dazugestoßen ist.

Haben Sie keine Angst, dass die Busse unter Beschuss geraten?

Wir fahren kalkuliert und mit guten Informationen rein. Auf der ukrainischen Seite werden wir von der Polizei eskortiert und arbeiten eng mit dem Team von Bürgermeister Vitali Klitschko in Kiew zusammen. Ich schlafe trotzdem schlecht, wenn sie auf ukrainischem Boden unterwegs sind. Aber diese Tour ist heil wieder zurück.

Wäre es nicht eigentlich Aufgabe des Staates, solche Rettungsaktionen zu organisieren?

Zumindest finden wir, dass das Auswärtige Amt uns mitfinanzieren könnte. Jeder Einsatz kostet inzwischen 80 000 bis 100 000 Euro, das geht vor allem an die Fahrer, die krisenerfahren sein müssen.

Ich habe es deshalb beim Auswärtigen Amt versucht. Die fliegen ja schon Flüchtlinge aus Moldawien aus. Ich habe gesagt, prima, ich bin diejenige, die euch die besonders schutzbedürftigen Leute bringt. Es hieß aber, unsere Organisation sei zu klein. Dabei habe ich mit dieser Tour nun insgesamt 770 Menschen rausgeholt haben. Wir haben uns jetzt mit der Csilla-von-Boeselager-Stiftung zusammengetan, damit haben wir sogar einen gemeinnützigen Mantel.

Hilfe im Ukraine-Krieg: In ihrem normalen Berufsleben ist Janine von Wolfersdorff Steuerberaterin und berät als Finanzexpertin Wirtschaft und Politik. Zehn Jahre lang war sie Geschäftsführerin des Instituts Finanzen und Steuern in Berlin. Diesen Job hat die Freiberuflerin im vergangenen Monat ruhen lassen.

In ihrem normalen Berufsleben ist Janine von Wolfersdorff Steuerberaterin und berät als Finanzexpertin Wirtschaft und Politik. Zehn Jahre lang war sie Geschäftsführerin des Instituts Finanzen und Steuern in Berlin. Diesen Job hat die Freiberuflerin im vergangenen Monat ruhen lassen.

(Foto: privat)

Wir bringen jetzt mit jeder Tour auch Hilfsgüter rein, sogar Medizinspenden der Bundeswehr - auch das ist ja im Sinne der Bundesregierung. Dieses Mal ist ein Viertonner mitgefahren, bis oben hin voller Pasta, Wurst und medizinischer Hilfsmittel, der soll in Orte in der Nähe von Kiew weiterfahren, wo die Menschen hungern.

Gibt es nicht Teams von anderen, erfahrenen Hilfsorganisationen, die auf so einen Einsatz besser vorbereitet sind als Sie? Das Internationale Rote Kreuz versucht derzeit Mariupol zu erreichen ...

Die bringen die Leute aber nur in die nächste, sichere Stadt. Wir dagegen holen gezielt besonders vulnerable Frauen und Kinder direkt aus Kiew raus in ein sicheres, neues vorübergehendes Zuhause in der EU. Mit den Maltesern arbeiten wir aber eng zusammen. Die schicken mir jetzt auch Ambulanzen mit und helfen hier bei der Verteilung der Menschen. Das Interesse ist groß, jetzt auch noch mehr Trucks mit Lebensmitteln zu schicken.

Wie wird Ihre Aktion in Deutschland aufgenommen?

Am Anfang lief es gut. Gerade aus vielen Städten und Kommunen kamen tolle Hilfsangebote. Hoyerswerda etwa hat extra Betten für uns gekauft. Fürstenfeldbruck und Moorenweis haben innerhalb von Stunden ein altes 4-Sterne-Hotel für unsere autistischen und behinderten Kinder hergerichtet. Aber kranke Kinder sind nicht so leicht unterzubringen. In München hat mir bei meinem aktuellen Transport ein Stadtrat rundheraus abgesagt, Hochschwangere oder Kranke zu übernehmen. Jetzt, wo die Flüchtlinge über den Königsteiner Schlüssel gerecht auf die Länder verteilt werden sollen, hakt es ohnehin, wie bei einem schlecht programmierten Kinoreservierungssystem. Da werden Länder als voll belegt angezeigt, obwohl die Hälfte der Leute, die zu ihnen kommen sollten, nie aus Berlin weitergefahren ist. Man kann die Menschen auch nicht einfach irgendwohin verteilen. Die wollen schon im Bus wissen, wohin die Reise geht.

Was noch immer gut funktioniert, ist die Unterstützung von unten, Hilfe aus dem Netzwerk des Hamburger The New Instituts, wo ich Fellow bin, oder von anderen privaten Initiativen. Ein Schlossbesitzer etwa bot mir ein ganzes Gästehaus an.

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Allein in Kiew lebten vor dem Krieg knapp drei Millionen Menschen. Selbst wenn Sie jetzt 900 Ukrainern helfen - zweifeln Sie manchmal an Ihrem Projekt angesichts der Größe der Not?

Wir können nur Einzelne rausholen. Für die bedeutet es aber alles, weil sie sonst keine Chance hätten. Ich habe ein unbegleitetes Mädchen zu seiner Tante in Berlin gebracht. Sie hat keine Mutter, der Vater ist Soldat und überglücklich, sie in Sicherheit zu wissen. Eine Hochschwangere kam nach München und brachte dort ihr Kind zur Welt. Die Großeltern sind in der Ukraine geblieben, aber sie schicken mir Videos, vor Freude tanzend, dass das Baby in Sicherheit geboren wurde. Eine Tochter, die inzwischen in San Francisco lebt, konnte über uns ihre Mutter rausholen. Sie hatte nicht geglaubt, sie je wiederzusehen.

Das sind Menschen in tiefer Existenzangst. Auch wenn wir nur wenigen helfen können: Wir schaffen Hoffnung für die, die noch dort sind. Gerade für die Schwächsten, allein dadurch, dass es uns gibt.

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