Süddeutsche Zeitung

Ukraine:Handschrift der Oligarchen

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Der neue gewählte Premierminister Dennis Schmigal präsentiert sein Kabinett. Opposition und Medien befürchten eine Schwächung des Parlaments zugunsten der Wirtschaftselite.

Von Florian Hassel, Warschau

Es war eine lückenhafte Ministerliste, die der neue Regierungschef der Ukraine dem Parlament vorlegte. Etliche Schlüsselposten - etwa der in der Ukraine enorm wichtige Energieminister und der Wirtschaftsminister - blieben unbesetzt, als der frisch gewählte Ministerpräsident Dennis Schmigal das Parlament um Zustimmung für sein Kabinett bat. Für die restlichen Posten, so der neue Regierungschef, benötige er noch zwei Wochen Zeit, meldete der Infodienst Novoye Vremya.

Dass die Ministerliste lückenhaft war, ist kein Wunder: Nur theoretisch wählt der Regierungschef seine Mannschaft selbst aus. Praktisch tut dies der Stabschef von Präsident Wolodimir Selenskij, im Zusammenspiel mit ukrainischen Oligarchen. Deren Handschrift ist bei der neuen Regierung zu erkennen. Regierungschef Schmigal war bis 2019 Manager in der Energieholding von Rinat Achmetow. Nicht nur der Premier, auch die meisten Minister wurden ausgetauscht, etwa die angesehene Finanzministerin Oxana Markarowa. Ersetzt wird sie durch Igor Umanskij - einen Finanzmann, der etwa gegen eine Zusammenarbeit mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) eintritt - und damit die Meinung des Oligarchen Ihor Kolomoiskij teilt.

Korruption und Manipulation kosteten die ukrainischen Steuerzahler 15 Milliarden Dollar

Der IWF hat in der Ukraine dazu beigetragen, dass zumindest kleine Reformen begannen - etwa im Bereich der Justiz. Aktuell besteht der IWF darauf, dass die klamme Ukraine im Gegenzug für 5,5 Milliarden Dollar neuer Kredite Oligarchen und Banker zur Verantwortung zieht, deren Manipulationen ukrainische Steuerzahler etwa 15 Milliarden Dollar gekostet haben sollen.

Unter ihnen sind Kolomoiskij und sein Geschäftspartner, die alle Vorwürfe bestreiten. Kolomoiskij soll bei Präsident Selenskij für den Rauswurf von Ministerpräsident Gontscharuk gesorgt haben, weil dieser gegen ihn vorgehen wollte.

Als nächstes wurde der bei Reformen und westlichen Regierungen hoch angesehene Generalstaatsanwalt Ruslan Rjaboschapka gefeuert, der gegen den Kolomoiskij-Kreis offenbar Anklagen vorbereitete. Im Parlament sprach Rjaboschapka am 3. März von "gutem Fortschritt" bei Verfahren unter anderem bei der angeblich von Kolomoiskij ausgeplünderten PrivatBank. Derlei zwinge "einige Leute, schneller und zynischer zu handeln" und auf seine Entlassung zu drängen. Bei einer weiteren Sondersitzung des Parlaments am Donnerstagabend stimmten 263 von 450 Abgeordneten für die Entlassung von Rjaboschapka - den entsprechenden Antrag hatte unter anderem der eng mit Kolomoiskij verbundene Abgeordnete Alexander Dubinskij eingebracht. Mögliche neue Generalstaatsanwälte: die Selenskij-Loyalisten Irina Wenediktowa und Sergej Jonuschas. Anders als Rjaboschapka hat keiner von ihnen lange Innenkenntnis des Justizapparates. Rechtsprofessorin Wenediktowa gehörte zu Selenskijs Wahlkampfteam und leitet seit zwei Monaten eine neue Ermittlungsbehörde. Jonuschas war früher Anwalt für die Fernsehfirma Kwartal 95, Selenskijs Unternehmen in seiner Zeit als Fernsehkomiker.

Der zivile Verteidigungsminister, ein erfahrener Manager, der beim korrupten Militär und im Verteidigungsministerium aufräumen sollte, wurde durch den 65 Jahre alten Karrieresoldaten Andrj Taran ersetzt. Der mächtige Innenminister Arsen Awakow, den 73 Prozent der Ukrainer ersetzt sehen wollen, etwa weil er Videoaufnahmen des Geheimdienstes zufolge an Korruption beteiligt sein soll, bleibt Minister.

Kiewer Medien kritisierten die Regierungsneubildung nur sechs Monate nach der Vereidigung der nun entlassenen Regierung von Alexej Gontscharuk. Die Zeitung Djen sah eine Schwächung des vor vollendete Tatsachen gestellten Parlaments und eine Stärkung der Oligarchen. Es sei kein Wunder, dass etliche Fachleute Ministerämter abgelehnt hätten. Die für Wirtschaft verantwortlichen Posten etwa ähnelten unter Selenskij "elektrischen Stühlen", auf denen kein normaler Politiker Platz nehmen wolle.

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SZ vom 06.03.2020
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