Ukraine:Gut bezahlte Posten

FILE PHOTO: Ukrainian President Volodymyr Zelenskiy delivers a speech during a parliamentary session in Kiev

Präsident Selenskij verteidigt seinen Stabschef Jermak.

(Foto: Valentyn Ogirenko/Reuters)

Der Stabschef von Präsident Selenskij soll zusammen mit seinem Bruder höchste Ämter für mehrere Millionen Dollar angeboten haben. Verhört wird nun aber nicht er, sondern der Parlamentarier, der die Sache ans Licht gebracht hat.

Von Florian Hassel, Warschau

Der ukrainische Abgeordnete Geo Leros hätte eigentlich genug mit der Parlamentsarbeit zu tun. Stattdessen verbringt Leros seine Zeit mit langen Verhören beim ukrainischen Geheimdienst SBU, dem staatlichen Ermittlungsbüro GBR oder dem Anti-Korruptionsbüro Nabu. Dabei müsste, so sieht es der Parlamentarier, nicht er, sondern derjenige verhört werden, der ihn angezeigt hat: Andrij Jermak, Stabschef von Präsident Wolodimir Selenskij und der zweitmächtigste Mann der Ukraine.

Ende März wurden Leros, so stellt er es dar, Videoaufnahmen übergeben: Bei versteckt aufgenommenen Gesprächen in Kiewer Restaurants und Straßen verhandelte Jermaks Bruder Denis von August bis Oktober 2019 mit Interessenten offenbar über den Verkauf hoher Posten bei Eisenbahn, Zoll und Steuerdienst oder im Ministerium für Infrastruktur. Auch eine mögliche Ernennung zum Gouverneur der Region Ternopil war offenbar im Gespräch - gegen zwei bis drei Millionen Dollar.

Am 29. März veröffentlichte der Abgeordnete einige der Videos auf seiner Facebook-Seite, Videos mit einer Laufzeit von mehreren Dutzend Stunden übergab er dem ukrainischen Dienst von Radio Liberty und dem Investigativjournalisten Denis Bihus. Der Wochenzeitung Serkalo Nedelji zufolge wurden dem Geheimdienst SBU fast 100 Stunden Videoaufnahmen ausgehändigt, auf denen auch die Übergabe von Bestechungsgeld zu sehen sei. Leros erstattete Anzeige und beschuldigt Stabschef Andrij Jermak, persönlich teilgenommen und profitiert zu haben.

Die Veröffentlichungen lösten den wohl größten Skandal der knapp ein Jahr alten Präsidentschaft Selenskijs aus. Stabschef Jermak bestritt nicht nur jede Korruption, sondern zeigte seinerseits Parlamentarier Leros beim vom Präsidialapparat kontrollierten SBU und GBR an: wegen angeblichen Verrats von Staatsgeheimnissen, Betrugs, Behinderung eines Staatsbeamten und Amtsmissbrauchs. Jermak stellte sich als Opfer dar - ohne auf die möglichen korrupten Deals einzugehen. Zehn Abgeordnete der Präsidentenpartei verlangten Aufklärung. Etliche wunderten sich, dass die Behörden weniger die explosiven Enthüllungen an sich untersuchten, sondern, wer die Videos aufgenommen und Parlamentarier Geo Leros übergeben habe.

Die Auflösung kam durch Radio Liberty und den Investigativjournalisten Bihus. Die Videos waren von Denis Jermaks Mitarbeiter Dmitrij Schtanko aufgenommen worden, die möglichen Bestechungsdeals von einem anderen Mitarbeiter, Sergej Schumskij, verabredet worden. Am 8. April beschrieben diese beiden dem Journalisten Bihus das Schema "Staatsposten gegen Bestechung" und bekräftigten, Stabschef Jermak - bis zum 11. Februar Selenskijs außenpolitischer Chefberater - habe persönlich teilgenommen und profitiert. Zwar sei keiner der Zahler bisher ernannt, doch in eine Art personelle Reserve aufgenommen worden.

Schtanko und Schumskij sagten auch beim Anti-Korruptionsbüro Nabu gegen die Brüder Jermak aus. Präsident Selenskij stellte sich in einer geschlossenen Sitzung mit der Führung seiner Parlamentsfraktion vor seinen Stabschef: "Jermak war und ist mein Freund", zitierten ihn Parlamentarier in Kiewer Medien.

Bis heute wurde Andrij Jermak nicht zum Verhör vorgeladen, auch von anderen konkreten Ermittlungsschritten ist nichts bekannt.

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