Ukraine:Ganz schön viele Vertraute

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Mit der Besetzung einiger Posten löst der neue Präsident in der ersten Parlamentssitzung Stirnrunzeln aus.

Von Florian Hassel, Warschau

Neu gewählte ukrainische Abgeordnete schießen Selfies im Parlament. (Foto: Efrem Lukatsky/AP)

Die Ukraine bekommt nach dem jüngsten Präsidenten auch den jüngsten Regierungschef ihrer Geschichte. Das neue Parlament wählte bei seiner ersten Sitzung den 35 Jahre alten Juristen Alexej Gontscharuk zum neuen Ministerpräsidenten. Die Wahl war galt angesichts einer absoluten Mehrheit der Präsidentenpartei "Diener des Volkes" von 254 Stimmen bei 424 Parlamentssitzen als Formsache. Gontscharuk ist durch seine mehrjährige Arbeit in einer Gruppe für Wirtschaftsreformen bekannt. Seit Mai berät er Staatspräsident Wolodimir Selenskij in Wirtschaftsfragen, er begleitete ihn auf etlichen Reisen im In- und Ausland.

Neuer Außenminister wird Wadim Pristaiko, er war seit 2014 Vize-Außenminister und seit Mai 2019 außenpolischer Berater Selenskijs im Präsidialamt. Verteidigungsminister wird der Militärreformer Andrej Sagorodnjuk. Neuer Chef des von Amtsmissbrauch und etlichen Affären erschütterten In- und Auslandsgeheimdienstes SBU wird Iwan Bakanow, Kindheitsfreund und ehemaliger Geschäftspartner Selenskijs - ohne Militär- oder Geheimdiensterfahrung. Neuer Leiter der ebenfalls skandalumwitterten Generalstaatsanwaltschaft wird Ruslan Rjaboschapka, ein angesehener Reformer mit Erfahrung in Justiz und Anti-Korruptionsreformen. Finanzministerin bleibt Oxana Markarowa.

Auch das neue Parlament wird von Vertrauten Selenskijs kontrolliert. Zum Parlamentspräsident wurde sein Parteichef Dmitrij Rasumkow gewählt, zu dessen Stellvertreter der Parteistratege Ruslan Stefantschuk. Vertreter der Präsidentenfraktion sollen im neuen Parlament 19 von 23 Ausschüssen leiten. Die angesehene Anti-Korruptions-Spezialistin Anastasia Krasnosilska soll den entsprechenden Ausschuss leiten. Igor Tkatschenko, bisher Generaldirektor des populären Fernsehsenders 1+1, soll den Medienausschuss leiten - eine Besetzung, die bei Beobachtern für hochgezogene Augenbrauen sorgt. 1+1 gehört dem umstrittenen Oligarchen Ihor Kolomoiskij, dessen Unterstützung mitentscheidend für die Wahl Selenskijs zum Präsidenten war. Kolomoiskijs bisheriger Anwalt Andrij Bohdan ist bereits seit Mai Chef der Präsidialverwaltung und gilt als zweitmächtigster Mann der Ukraine. Auch etliche Parlamentarier der "Diener des Volkes" sind mit Kolomoiskij, seinen Firmen oder dessen Partei verbunden. Dem künftigen Finanzausschuss-Vorsitzenden Danilo Hetmanzew zufolge ist ein Gesetz in Vorbereitung, das gegen eine Steuer von fünf Prozent eine Amnestie auf unerklärte Vermögen möglich machen soll - dies würde auch Oligarchen wie Kolomoiskij begünstigen, die Milliardenwerte unter teils fragwürdigen Umständen erworben oder ins Ausland transferiert haben.

Staatspräsident Selenskij brachte am Donnerstag Dutzende Gesetzentwürfe ein, darunter einen, der ein mögliches Amtsenthebungsverfahren gegen den Präsidenten regeln soll - ein Wahlkampfversprechen von ihm. Abgestimmt werden soll über die Abschaffung von Immunität von Parlamentariern. Dazu ist eine Verfassungsänderung notwendig, für die wiederum zwei Drittel der Stimmen im Parlament erforderlich sind. Präsident Selenskij wäre dafür auf andere Fraktionen angewiesen. Dem kommenden Vize-Parlamentspräsidenten Stefantschuk zufolge arbeitet die Präsidentenfraktion an 465 Gesetzentwürfen, von denen etliche Verfassungsänderungen vorsehen.

Zweitgrößte Fraktion ist die moskaufreundliche Oppositionsplattform "Für das Leben" mit 44 Abgeordneten, drittstärkste die "Europäische Solidarität" von Ex-Präsident Petro Poroschenko. Ex-Ministerpräsidentin Julia Timoschenko führt die 25 Köpfe starke Fraktion "Vaterland". Die Reformpartei "Golos" stellt 17 Abgeordnete.

© SZ vom 30.08.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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