Ukraine:Kampfoffensive Richtung Frieden

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Bei einem Besuch in Kiew erhielt der US-Außenminister im September 2022 einen Orden aus der Hand von Präsident Wolodimir Selenskij. Dieser nahm nicht an Blinkens jüngster Gesprächsrunde teil, sondern besuchte Soldaten an der Front. (Foto: Genya Savilov/AFP)

Während in der Ukraine weiter erbittert gekämpft wird, beraten die Partner über die Zeit danach. Das wird nicht als Widerspruch verstanden, sondern als Strategie.

Von Fabian Fellmann, Washington

Über ein schlammiges Feld braust ein Panzer, auf dem eine blau-gelbe Fahne weht, aus einer Luke reckt ein graubärtiger Herr seine bordeauxrote Baseballmütze: Der ukrainische Verteidigungsminister Oleksij Resnikow absolviert die erste Testfahrt auf einem britischen Challenger 2. Soeben sind die ersten von 14 Kampfpanzern in der Ukraine eingetroffen, kurz vor den deutschen Leopard 2. Resnikow veröffentlichte zum Dank ein Video auf Twitter. Darauf reckt er den Daumen hoch und ruft in die Kamera: "Es ist wunderbar."

Die Panzer sollen den Ukrainern eine Frühlingsoffensive ermöglichen, über die bei den Verbündeten eifrig diskutiert wird. "Das wird sehr, sehr schwierig", zitierte das Wall Street Journal eben erst Polens Premierminister Mateusz Morawiecki. "Das große Potenzial und die brutale Gewalt der Russen sind nicht zu unterschätzen", sagte Morawiecki.

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Im Keller der Dorfschule von Jahidne waren bis zu 367 Ukrainer wochenlang eingepfercht. Deutschen Firmen gibt der Minister eine Investitionsgarantie, wenn sie Fabriken in der Ukraine betreiben.

Der Ukraine fehlt es an Feuerkraft aus der Luft

Monatelang wurden ukrainische Soldaten in westlichen Ländern ausgebildet. Dort lernten und trainierten sie, die schwerfällige feindliche Armee mit Nato-Taktiken zu überrumpeln. Das würde bedingen, zunächst Raketen auf die Russen niederregnen zu lassen, abgefeuert von Jets und Flugzeugträgern, wie es die Nato zu tun pflegt. Doch über diese Feuermacht verfügen die Ukrainer nicht.

Also könnten sie versuchen, die russischen Stellungen mit Artilleriefeuer zu schwächen, etwa mit Himars-Mehrfachraketenwerfern. Das würde es zumindest erlauben, die russischen Waffenlager im Hinterland auszuschalten und die Nachschubwege abzuschneiden. Daraufhin sollen flinke Einheiten aus Kampfpanzern und Truppentransportern Breschen in die russischen Linien schlagen. Solche Szenarien werden in westlichen Analysen gewälzt.

Gleichzeitig reden die Verbündeten jedoch zunehmend über einen möglichen Frieden. US-Außenminister Tony Blinken etwa lud am Dienstag Amtskollegen aus mehreren Kontinenten ein zu einer virtuellen Gesprächsrunde über einen "gerechten und anhaltenden Frieden".

Aufsehen hatte Blinken eine Woche zuvor erregt, als er im US-Kongress sagte: "Ich denke, es wird Gebiete in der Ukraine geben, um die die Ukrainer entschlossen sind, vor Ort zu kämpfen. Es könnte Gebiete geben, die sie auf andere Weise zurückzuerobern versuchen müssen." Mit der Formulierung schien er eine Tür zu öffnen für Friedensverhandlungen, bei denen die Ukraine möglicherweise Gebiete an Russland abtreten müsste.

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Seither hat Wladimir Putin angekündigt, taktische Atomwaffen in Belarus stationieren zu wollen. Blinken reagiert darauf indes nicht mit mehr Kompromissbereitschaft, sondern nahm wieder eine unnachgiebigere Haltung ein. Von Washington aus übergab er dem ukrainischen Außenminister Dmytro Kuleba das Wort, damit dieser seinen Zehn-Punkte-Friedensplan vorstellen konnte. Russland müsse sämtliche Truppen abziehen und alle ukrainischen Gebiete zurückgeben, inklusive der Krim. Moskau müsse sich überdies zur Einhaltung früherer Friedensabkommen verpflichten, künftige Angriffe ausschließen. Und die Ukraine brauche Energiesicherheit, betonte Kuleba.

Blinken bekräftigte seine Unterstützung für Kiews Pläne. Gut gemeinte Rufe nach einem Waffenstillstand könnten die Ukraine in "zynische Fallen" führen, "den Konflikt einfrieren, Russland erlauben, die Geländegewinne zu zementieren und die Zeit zu nutzen, auszuruhen, wieder aufzurüsten und dann später neu anzugreifen". Der tschechische Außenminister Jan Lipavský warnte, eine Kampfpause würde Wladimir Putin die Aufspaltung der Ukraine erlauben, genau wie Adolf Hitler 1938 mit westlicher Billigung das Sudetenland der Tschechoslowakei entreißen konnte, bevor er den Zweiten Weltkrieg vom Zaun brach.

Präsident Selenskij sagte ab - aus gutem Grund

Alle Außenminister, von Frankreichs Catherine Colonna über Israels Eli Cohen bis zum Italiener Antonio Tajani, stellten sich hinter die Ukraine. Tajani vermied es indes wortreich, die territoriale Integrität der Ukraine zu erwähnen. Stattdessen bekräftigte er, die Verbündeten müssten sich Russland weltweit entgegenstellen, auch auf dem Balkan und in Afrika. Es sei ein Kampf für Menschenrechte und gegen Technokraten, sagte Tajani, ohne klarzumachen, was er damit genau meinte.

Es sind solche Zweideutigkeiten, auf die die Ukrainer mit einer Frühlingsoffensive eindeutige Antworten geben wollen. Sie wissen, dass trotz aller vollmundigen Ankündigungen die Treue der Verbündeten nicht unverbrüchlich ist. Zudem versuchen sie, die Ausgangsposition zu verbessern für den Moment, an dem Friedensverhandlungen als günstig erscheinen. Präsident Wolodimir Selenskij machte unterdessen seine Prioritäten klar: Statt an Blinkens Gesprächsrunde teilzunehmen, ließ er sich entschuldigen. Er wollte seine Truppen an der Front besuchen.

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