Berlin:Falsch verbunden

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Berlins Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) war nicht die einzige Politikerin, die auf den falschen Klitschko hereinfiel. (Foto: Michael Kappeler/dpa)

Nach einem Fake-Gespräch mit Vitali Klitschko geht Berlins Regierende Bürgermeisterin von einem "Mittel moderner Kriegsführung" aus. Staatsschutz und IT-Experten ermitteln.

Von Jan Heidtmann, Berlin

Am Sonntagvormittag ging es für Berlins Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) wieder einmal um die Ukraine. Doch anders als in den Tagen zuvor sollte es ein Treffen ohne Nachgeschmack werden. Die Berliner Boulevardzeitung B.Z. hatte ihren Kulturpreis der ukrainischen Regisseurin Maryna Er Gorbach für den Film "Klondike" zugedacht. In ihrer Laudatio im Berliner Kino International sprach Giffey von einem "aufrüttelnden Meisterwerk von großer Aktualität". Da war das letzte aufrüttelnde Meisterwerk gerade einmal 36 Stunden alt. Es war ein Meisterwerk der Fälschung.

Am Freitagnachmittag war für 17 Uhr ein Videogespräch mit dem Bürgermeister von Kiew, Vitali Klitschko, angesetzt worden. Um 18.45 Uhr teilte die Berliner Senatskanzlei dann per Twitter mit, dass die Unterhaltung abgebrochen worden sei. "Der Verlauf des Gesprächs und die Themensetzung haben auf Berliner Seite ein Misstrauen hervorgerufen. Das Gespräch wurde vorzeitig abgebrochen."

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Seitdem ermittelt der Staatsschutz, wer hinter dem vermeintlichen Klitschko stecken könnte, dazu das IT-Dienstleistungszentrum Berlin und das Cybersecurity-Operationscenter. Das falsche Gespräch sei "ein Mittel der modernen Kriegsführung", sagte Giffey dem Sender RBB.

Ein von der Senatskanzlei in Berlin zur Verfügung gestelltes Foto zeigt das Videotelefonat zwischen einem vorgeblichen Vitali Klitschko mit Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD). (Foto: dpa)

Falsche Gesprächsangebote auch auf höchster politischer Ebene kommen häufiger vor; immer wieder fallen selbst Spitzenpolitiker darauf herein. So telefonierte Kanadas Premier Justin Trudeau im November 2020 mit der vermeintlichen Klimaaktivistin Greta Thunberg, tatsächlich steckten die Youtuber Lexus und Vovan dahinter. Im Juli zuvor war bereits der gerade wiedergewählte polnische Präsident Andrzej Duda auf die für ihre Telefonscherze bekannten Russen reingefallen.

Ernster war da schon ein Gespräch mit dem britischen Verteidigungsminister Ben Wallace im März dieses Jahres: Der Anrufer hatte sich als ukrainischer Ministerpräsident Denys Schmyhal ausgegeben und stellte offenbar kuriose Fragen. Es sei ein "erbärmlicher Versuch, uns in schwierigen Zeiten zu spalten", sagte Innenministerin Priti Patel. So sollten westliche Politiker lächerlich gemacht und Unsicherheit geschürt werden.

Auch die Bürgermeister in Wien und Madrid fielen auf den falschen Klitschko herein

Auch der Anruf bei Berlins Regierender Bürgermeisterin war mehr als nur ein gut gemachter Scherz. Darauf deutet hin, dass andere Amtskollegen in der vergangenen Woche ebenfalls solche Anrufe bekommen hatten. Madrids Bürgermeister José Luis Martínez-Almeida habe das Gespräch offenbar schon nach wenigen Minuten abgebrochen, da er misstrauisch geworden sei, hieß es im Bürgermeisteramt der spanischen Hauptstadt. Am Mittwoch hatte auch Wiens Bürgermeister Michael Ludwig mit einem angeblichen Klitschko telefoniert, dabei jedoch keine Zweifel an der Authentizität seines Telefonpartners bekommen. "Nachdem in dem Gespräch keine verfänglichen Themen behandelt worden sind, ist das im konkreten Anlassfall sicher ärgerlich, aber kein großes Problem", sagte Ludwig.

Alle drei Gespräche waren offenbar bereits am 2. Juni per E-Mail angefragt worden, wobei der Absender keine amtliche Kennung hatte. Da sich auch offizielle Stellen seit Kriegsbeginn dadurch immer wieder vor Hackern schützen, ist das in der Kommunikation mit der ukrainischen Regierung derzeit nicht ungewöhnlich. Hinzu kommt, dass es sich bei den Gesprächen um Videotelefonate handelte und Kiews Bürgermeister Vitali Klitschko auch tatsächlich jeweils auf dem Bildschirm zu sehen war.

In der Senatskanzlei in Berlin geht man davon aus, Opfer eines sogenannten Deep Fakes geworden zu sein. Diese Technologie ist inzwischen so weit fortgeschritten, dass selbst Videos ziemlich perfekt manipuliert werden können und vermeintlich reale Personen zeigen. Eine andere Möglichkeit ist, dass ein echtes Interview mit Klitschko zu sehen war und der Anrufer wie bei einer Synchronstimme darüber gesprochen hat. Das Foto, das die Senatskanzlei von Klitschko veröffentlichte, ähnelt jedenfalls einer früheren Interviewsituation mit Klitschko.

Kiews Bürgermeister selbst setzt nun auf ein echtes Gespräch mit Franziska Giffey: "Ich hoffe, dass wir bald über meine offiziellen Kanäle telefonieren können."

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