Süddeutsche Zeitung

Krieg in der Ukraine:Frankreich sucht seine Rolle im Ukraine-Krieg

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Zum ersten Mal reiste die Pariser Außenministerin nach Kiew - und musste dort auch um einen französischen Journalisten trauern.

Von Nadia Pantel, Paris

Der Krieg in der Ukraine hat Frankreichs Nachrichtensendungen zu Wochenbeginn gleich doppelt dominiert. Zum einen war Außenministerin Catherine Colonna am Montag nach Kiew und Butscha gefahren. Colonna ist seit zehn Tagen im Amt und trat eine Reise an, auf die die ukrainische Regierung schon lange wartet: Sie besuchte als erstes ranghohes französisches Regierungsmitglied seit Russlands Angriff auf die Ukraine den ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenskij. Gleichzeitig wurde bekannt, dass der französische Journalist Frédéric Leclerc-Imhoff in der Ukraine von einem Granatsplitter getötet wurde. Der 32-jährige Videojournalist arbeitete für den Nachrichtensender BFM und begleitete gemeinsam mit einem französischen Kollegen und einer ukrainischen Kollegin einen humanitären Einsatz im Gebiet um die Stadt Sjewjerodonezk. Laut "Reporter ohne Grenzen" ist Leclerc-Imhoff der achte Journalist, der in den vergangenen Wochen in der Ukraine getötet wurde.

So musste Außenministerin Colonna in Kiew eine Doppelrolle erfüllen. Sie übergab zum einen wie geplant französische Rettungs- und Feuerwehrwägen an die ukrainische Regierung und sicherte die Lieferung weiterer Waffen zu. Zum anderen trauerte sie um einen getöteten französischen Journalisten. Präsident Selenskij sicherte zu, er werde dabei helfen, die Umstände von Leclerc-Imhoffs Tod aufzuklären. Die französische Außenministerin sagte am Montag, der Journalist sei "durch einen russischen Angriff getötet" worden. Es handele sich um "ein doppeltes Verbrechen", da ein humanitärer Konvoi und gleichzeitig Journalisten bombardiert worden seien. Die französische Justiz leitete Ermittlungen gegen die russische Armee wegen Kriegsverbrechens ein.

Der Tod des französischen Journalisten und der im internationalen Vergleich sehr späte Besuch eines französischen Regierungsmitglieds in der Ukraine illustrieren gut Frankreichs Reaktion auf den Krieg. Zum einen verfolgen Frankreichs Medien das Geschehen von Anfang an mit einem imposanten Großaufgebot an Reportern und Reporterinnen. Allein für BFM waren seit Kriegsbeginn mehr als 40 Journalisten in der Ukraine. Gleichzeitig wird in den Medien jedoch erstaunlich wenig darüber diskutiert, welche Rolle Frankreich in dem Krieg einnehmen solle.

Während in Deutschland über Aufrüstung und die sogenannte "Zeitenwende" diskutiert wird, sieht Frankreich sich eher in alten Positionen bestätigt. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron fordert ohnehin seit Jahren eine stärkere militärische Souveränität Europas, Auslandseinsätze der französischen Armee gehören zur Routine - eine Pazifismusdebatte wie in Deutschland gibt es nicht. So liefert Frankreich nicht nur Waffen an die Ukraine, seit Kriegsbeginn wurden zudem 500 französische Soldaten nach Rumänien verlegt, um dort an einem gemeinsamen Manöver mit Nato-Partnern teilzunehmen. So soll Russland die Wehrhaftigkeit der westlichen Partner gezeigt werden.

Macron hält am Dialog mit Putin fest

Doch diese konkrete Unterstützung für die Ukraine ist nur eine Seite der Medaille. Auf der anderen Seite steht die Tatsache, dass Emmanuel Macron bislang zum einen auf einen Ukraine-Besuch verzichtet hat und zum anderen an einem regelmäßigen Dialog mit Wladimir Putin in Moskau festhält. Zudem wurde in Kiew irritiert registriert, dass Macron nach dem russischen Massaker an Zivilisten in Butscha anders als die US-Regierung nicht von einem "Genozid" sprach. Als Macron am 9. Mai vor dem EU-Parlament in Straßburg schließlich sagte, man dürfe sich "niemals dazu hinreißen lassen, Russland zu demütigen", warf das in der Ukraine Fragen nach der französischen Solidarität auf. Zumal Macron in derselben Rede sagte, ein EU-Beitritt der Ukraine werde noch Jahrzehnte dauern. Stattdessen schlug er vor, die Ukraine könne Teil einer "europäischen politischen Gemeinschaft" werden. Für Kiew klang das wie ein Nein zu den EU-Beitrittshoffnungen.

Außenministerin Colonna war nun auch in die Ukraine gereist, um dieses Missverständnis auszuräumen. Der Sinn der "europäischen politischen Gemeinschaft" bestehe darin, Länder konkret in Fragen des Verkehrs oder der Sicherheitspolitik mit der EU zu verzahnen, um die Zeit bis zum Beitritt konstruktiv zu nutzen.

Unklar bleibt die Frage, wie die französische Öffentlichkeit auf den Krieg in der Ukraine blickt. Einerseits wurden mehr als 70 000 ukrainische Geflüchtete in Frankreich aufgenommen - begleitet von einer Welle der Solidarität und Anteilnahme. Andererseits kamen bei der Präsidentschaftswahl im April drei Kandidaten auf Platz zwei, drei und vier, die alle in der Vergangenheit klare Sympathien für Wladimir Putin bekundet hatten. Eine Erklärung könnte sein, dass der Krieg in der Ukraine in der Berichterstattung eher wie eine weit entfernte Tragödie präsentiert wird - denn wie eine europäische Krise.

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