Wohnungsmangel:Hundert Bewerbungen für eine Wohnung

Wohnungsmangel: Flüchtlinge aus der Ukraine warten im Bahnhof der rumänischen Stadt Suceava auf Anschlusszüge.

Flüchtlinge aus der Ukraine warten im Bahnhof der rumänischen Stadt Suceava auf Anschlusszüge.

(Foto: Andreea Alexandru/AP)

Schon bisher taten sich Flüchtlinge sehr schwer, in deutschen Großstädten eine Unterkunft zu finden. Nun benötigen womöglich bald Hunderttausende Ukrainer eine Wohnung. Es droht ein Verdrängungswettbewerb.

Von Roland Preuß, Berlin

"Sie können Treppen steigen ohne Aufzug, oder?", fragt Angelika Warning. Ja, das kann Osama. Und er wisse, fragt sie, wie schwer es sei, in Berlin eine Wohnung zu finden, "für einen jungen Mann ganz ganz schwer". Auch das weiß der 32-Jährige. 2016, im Zuge der Flüchtlingskrise, hat es der Iraker nach Deutschland geschafft, bald drei Jahre sucht er nun eine Wohnung in der Hauptstadt. Deshalb sitzt er an diesem Nachmittag in einem Sozialzentrum in Berlin-Moabit, hier berät Angelika Warning Geflüchtete, wie sie im gnadenlosen Wohnungsmarkt der Hauptstadt es vielleicht doch zu einer eigenen Wohnung schaffen.

Die beiden reichen Dokumente über den abgewetzten Schreibtisch, ein Wohnberechtigungsschein, Bestätigung über Mietschuldenfreiheit, der deutsche Datenschutz muss unterschrieben werden. Bisher haust Osama, der seinen Nachnamen nicht genannt sehen will, in einer Gemeinschaftsunterkunft im Bezirk Berlin-Mitte: ein Zimmer, Gemeinschaftsküche, Bad auf dem Flur. Er will im Zentrum Berlins bleiben. "Meine Schule ist hier", sagt er, dort geht er zum Integrationskurs. "Hier kenne ich mich aus." Warning dämpft die Erwartungen. "Wo wollen Sie auf gar keinen Fall wohnen?" Auf ihrem Bewerbungsbogen kann man Bezirke per Kreuzchen ausschließen. Gute Chancen gebe es nur in den Außenbezirken, Spandau, Pankow oder auch Marzahn. Und dann vor allem dort, wo andere abwinken - eben weil einen zum Beispiel kein Aufzug in den 6. Stock befördert.

Wohnungsmangel: Angelika Warning, Wohnungsberaterin für Flüchtlinge in Berlin.

Angelika Warning, Wohnungsberaterin für Flüchtlinge in Berlin.

(Foto: Roland Preuß/SZ)

Angelika Warning braucht Ausdauer, etwa 30 Anfragen stellt sie bei Singles, bis die eine Wohnung gefunden haben, bei vierköpfigen Familien können es schon mal 100 sein. "Es gibt nicht viele Vermieter, die bereit sind, an Empfänger von Sozialleistungen zu vermieten", sagt sie. Bei den großen privaten Vermietern der Stadt versucht sie es schon lange nicht mehr. Dort heiße es ohnehin nur: "Die Wohnung ist vergeben." In Frage kämen lediglich die städtischen Anbieter, Wohnungsunternehmen, die Howoge oder Gesobau heißen. Warning rechnet vor: Diese Unternehmen böten nur etwa 30 Prozent der Wohnungen an und von diesen seien wiederum nur ein Drittel geförderter, günstiger Wohnraum. Für Geflüchtete wie Osama käme damit nur ein Zehntel des Angebots infrage. "Und wenn ich zu Besichtigungen mitgehe, stehen da die Deutschen und schimpfen: Die nehmen uns die Wohnungen weg."

Nötig seien bis zu 500 000 Wohnungen

Das ist die Ausgangslage, in der nun Hunderttausende Menschen aus der Ukraine in Deutschland erwartet werden. Sie brauchen eher früher als später eine Wohnung. Bis zu 500 000 zusätzliche Wohnungen seien nötig, fast die Hälfte davon müssten neu gebaut werden, rechnete das Forschungsinstitut Empirica am Dienstag vor. Genau wissen kann das niemand, es hängt vom Kriegsverlauf ab , von Wladimir Putin, von der Aufnahmebereitschaft anderer Staaten. Klar aber ist: Tausende Menschen werden bleiben und eine Wohnung brauchen. "Natürlich wird das Konkurrenz schüren und Probleme hervorrufen zwischen Deutschen, Geflüchteten und den Menschen, die jetzt kommen - aber die Geflüchteten sind der falsche Feind", sagt Warning.

"Die Probleme waren immer so, erst kamen die Afghanen, jetzt noch die Ukrainer", sagt Fatoom A. "In Berlin gibt es zu viele Ausländer", sagt die alleinerziehende Mutter mit einem Hauch Sarkasmus. Über die Ukrainer aber kein böses Wort. Seit drei Jahren wohnt die Palästinenserin in einem Wohnheim, zur Beratung kommt sie gekleidet wie zu einem Vorstellungstermin, cremefarbene Hose, passende Stiefel, Schmuck. Sie hat ihren Aufenthalt nun sicher für weitere drei Jahre, gerne zeigt sie das Schreiben der Ausländerbehörde. Nun beantragt sie einen Wohnberechtigungsschein, die Eintrittskarte für staatlich geförderte Wohnungen. Doch bis die Karte kommt, kann es nach Warnings Erfahrung Monate dauern.

Schon bevor der Krieg in der Ukraine losging, wohnten in Berlin 21 000 Menschen in Flüchtlingsunterkünften. Anfangs müssen sie als Asylbewerber dort wohnen. 40 Prozent von ihnen dürfen aber ausziehen, oft schon seit Jahren, heißt es aus dem Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten. Auch in anderen Regionen leben noch Geflüchtete in solchen Unterkünften. Nun werde es einen schärferen Wettbewerb um Sozialwohnungen geben, sagt Reiner Braun, Wohnungsmarkt-Experte beim Empirica-Institut in Berlin. "Auch um Plätze an Schulen und in Kindergärten, das ist das Risiko", sagt Braun. Er sieht aber auch Chancen. Etwa, die Menschen dort anzusiedeln, wo Wohnungen frei sind und Arbeitskräfte begehrt. "Auch in schrumpfenden Regionen gibt es Jobs, gerade für Leute mit mittlerer oder niedriger Qualifikation."

"Wir könnten bald überfordert sein."

"Wenn der Krieg länger andauert, rechne ich mit noch mehr Menschen als 2015/16", sagt Ralph Henger, der beim Institut der deutschen Wirtschaft (IW) zum Wohnungsmarkt forscht. Die Ukrainer könnten von Anfang an arbeiten. "Sie werden sich viel schneller im Land integrieren", sagt Henger. Damit aber werde sich "sehr schnell die Frage nach den nötigen Wohnungen stellen. Wir könnten bald überfordert sein".

Mit einer Arbeit schlagen die Zugewanderten nicht nur erste Wurzeln im Land, eine Stelle erhöht auch die Chancen, eine Wohnung zu finden. Die Ukrainer brächten ein im Vergleich zu anderen Geflüchteten wie Syrer oder Eritreer hohes Bildungsniveau mit, viele Frauen arbeiteten, es würden künftig "Doppelverdiener-Haushalte" am Wohnungsmarkt aktiv, heißt es in der Empirica-Studie. Es könnte also einen Verdrängungswettbewerb geben. Gerade bei den Angeboten für erschwingliche Wohnungen.

Angelika Warning vermutet, dass Ukrainern ohnehin eher eine Wohnung angeboten werde als den meisten bisherigen Flüchtlingen. "Es sind keine Muslime, es ist ein Kulturkreis, mit dem man eher vertraut ist." Der Hintergrund vieler Absagen sei wohl "Muslimfeindlichkeit", sagt sie. Noch aber seien bei ihr keine Ukrainer aufgetaucht. Noch ist es wohl zu früh.

Die Menschen lenken per Gesetz?

Man müsse die Menschen nun verteilen, sie dorthin lenken, wo es Wohnungen gebe und Angebote wie Kita-Plätze, sagt der IW-Experter Henger. Nicht mit einer festen Quote, aber man müsse sich jetzt "viel austauschen und koordinieren". Reiner Braun würde noch einen Schritt weitergehen und die Menschen per Gesetz bestimmten Regionen oder Gemeinden zuweisen. "Wir brauchen das, ohne Zuweisung gehen die Menschen eher in die Städte, dorthin, wo sie Freunde und Verwandte haben. Und dort kann es dann knapp werden."

Für Angelika Warning hat das Problem bei den privaten Wohnungsunternehmen seine Wurzeln. "Man sollte sie verpflichten, in jedem Haus eine Wohnung zur Verfügung zu stellen - für Geflüchtete und für Menschen aus der Ukraine."

Im Sozialzentrum in Berlin-Moabit sitzen die nächsten Geflüchteten an ihrem Tisch, Vater, Mutter und Tochter. "Wir haben seit sechs Jahren keine Wohnung gefunden. Wir haben es eine Million Mal versucht", schimpft der Vater. "Immer heißt es: Leider nicht!" Er macht eine Fortbildung zum Busfahrer und sucht in der ganzen Stadt nach Wohnungen. "Sieben Personen, das ist fast nicht möglich, das muss ich Ihnen leider sagen", meint Warning. Wohin aber solle er denn gehen, fragt der Mann. "München oder Hamburg?" Warning sagt: Das sei viel zu teuer. "Aber vielleicht Brandenburg."

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