Süddeutsche Zeitung

Roma aus der Ukraine:Der Verachtung entkommen sie nicht

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Unter den Ukrainern, die vor dem Krieg fliehen, gehören viele der Volksgruppe der Roma an. Um diese Menschen, deren Vorfahren von den Nazis verfolgt wurden, will sich Deutschland besonders kümmern. Doch gerade sie haben es hier besonders schwer.

Von Nina von Hardenberg, Berlin/Ingolstadt

Alexander Lakatosh hat seinen Platz gefunden. Hinter einem Tresen sitzt er in der Berliner "Welcome Hall", einem großen Zelt für ankommende Ukraine-Flüchtlinge direkt vor dem Berliner Hauptbahnhof. An seinem Pulli klemmt ein Anstecker der Roma-Organisation Mingru Jipen, darauf sein neuer Spitzname. Brillianto nennen sie ihn hier, weil kein anderer Mitarbeiter so schnell Flüchtlinge weitervermittelt wie er. Sechs große Roma-Familien in einer Stunde schafft er schon mal: Begrüßt und beruhigt sie - und bewegt sie vor allem, weiterzufahren zu Berlins großer Registrierungsstelle im ehemaligen Flughafen Tegel.

Alexander Lakatosh fällt das leicht. Er ist selbst Ukrainer mit Roma-Hintergrund und im März mit Frau und Sohn aus Odessa geflohen. Er spricht die Sprache, kennt die Ängste. Darum hat der Verein Mingru Jipen - Unser Leben ihn angestellt.

Knapp 33 000 Flüchtlinge aus der Ukraine hat Berlin seit Beginn des Krieges registriert. Nach groben Schätzungen verschiedener Organisationen waren vielleicht 2000 darunter, die sich selbst als Roma bezeichneten. Genau weiß man es nicht, ethnische Zuordnungen werden bewusst nicht erfasst. Geht es nach den Vorsätzen der Berliner Landesregierung und der Ampelkoalition im Bund, dann müsste diese Gruppe besonders umsorgt werden. Eine "historische Verantwortung" habe Deutschland für die Sinti und Roma, deren Vorfahren von Nazis verfolgt und in KZs ermordet wurden, heißt es im Koalitionsvertrag der Landesregierung. Im Bund wurde erstmals ein Beauftragter gegen Antiziganismus berufen.

Dennoch haben es ukrainische Flüchtlinge mit Roma-Hintergrund besonders schwer. Schon auf dem Weg nach Deutschland erfahren viele Diskriminierung, werden aus Zügen geworfen oder etwa in Polen an der Einreise gehindert, so berichten es Hilfsorganisationen. Auch in Deutschland schürt die neue Zuwanderung alte Vorurteile und Zuschreibungen.

Die typischen Roma gibt es nicht, sagt Roman Herzberg, der den Verein Mingru Jipen leitet und als Kind mit seiner Familie aus Polen eingewandert ist. An ihrem Stand im Ankunftszelt in Berlin betreuen sie extrem arme Roma-Familien, genauso wie ganz normale und auch reiche, sagt er. Einige kümmerten sich selbst um ihre Unterbringung.

Keine andere Gruppe ist so starken Vorurteilen ausgesetzt

Die Zuschreibung "die Roma" aber gibt es sehr wohl. Herzberg merkt das an kleinen Kommentaren. Roma-Flüchtinge kommen oft in großen Familien von 20 Menschen oder mehr. Bei der Essensausgabe stellt sich dann einer an und nimmt für die anderen 20 Getränke mit, sagt er. Typisch Roma, heiße es dann, die klauen.

Derart große Familien können kaum in Privatfamilien vermittelt werden. Das Ergebnis: In einzelnen Unterkünften blieben fast nur noch Roma-Familien, mit sehr vielen Kindern und viel zu wenig Betreuung. Besonders schlimm muss es in der inzwischen aufgelösten Unterkunft in der Messe in München gewesen sein, in der zeitweilig 1800 Geflüchtete unterkamen, am Ende aber fast nur noch "Menschen, die als Roma gelesen wurden, übrig blieben", berichtet eine Übersetzerin. Die Halle war eng belegt, das Licht brannte Tag und Nacht. Es war laut, stressig und dreckig.

Keine andere Gruppe ist europaweit derart starken Vorurteilen ausgesetzt wie Sinti und Roma, wie verschiedene Studien zeigen. Und bei keiner anderen fühlten sich die Befragten damit derart im Recht. "Wer abfällig über Schwarze redet, weiß meistens, dass er ein Vorurteil auslebt", erklärt Radoslav Ganev vom Verein Romanity. Bei Sinti und Roma ist das anders: "Jahrhundertealte Klischees und Stereotype werden bei dieser Gruppe selten reflektiert."

Inzwischen gibt es in Deutschland den politischen Willen, mehr für Menschen mit Roma-Hintergrund zu tun. In dem Massenzustrom aus der Ukraine sei das bislang kaum gelungen, berichtet Alexander Diepold von der Sinti-und-Roma-Organisation Madhouse in München. Mit Sorge beobachtet er, dass viele Menschen die Probleme von Ukraine-Flüchtlingen mit Roma-Hintergrund nicht mit deren sozialer Notlage erklärten, sondern mit einer ethnischen Zuschreibung.

Ohne Frage kämen zum Teil sehr arme, schlecht gebildete Mütter, die auch in der Ukraine am Rande der Gesellschaft lebten. Viele von ihnen schwanger und bereits mit vielen kleinen Kindern. Betteln kann da eine Überlebensstrategie sein. Statt ihnen aber zu helfen und sie zu beschützen, erfahren sie Hass und Verachtung. Bei jedem seiner Besuche hat Diepold das erlebt. Mal wollte der Betreiber keine weiteren Einwegbettdecken rausrücken, weil die Familie angeblich schon welche erhalten hatte. Mal schloss eine Einrichtung kurzerhand die Toiletten und stellte nur noch Dixi-Klos auf, weil die Mütter ihre Kinder in den Waschbecken gewickelt und diese dabei verdreckt hatten.

Viele haben keine Pässe

Diskriminierung zu bekämpfen, ist schwer, weil sie auf mehreren Ebenen stattfindet. Da sind einerseits die offenen Angriffe. Es gibt aber auch rassistische Einstellungen von Mitarbeitern, wenn sich etwa Übersetzer weigern, mit Roma-Familien zu reden. Als Drittes bleibt der strukturelle Nachteil. Weil sie über Jahrhunderte ausgegrenzt und verfolgt wurden, haben Roma überdurchschnittlich oft keine Schulbildung, sind arm und gesellschaftlich abgehängt.

Die verschiedenen Diskriminierungsebenen verstärken sich gegenseitig: Weil sie in der Ukraine ausgegrenzt wurden, haben sie oft keine Pässe - und sehen sich dann in Deutschland dem Vorwurf ausgesetzt, keine echten Vertriebenen zu sein.

In München waren die Roma vielfach sich selbst überlassen. Als privat Untergebrachte schon Termine für Registrierungen machen konnten, mussten die Flüchtlinge aus den Gemeinschaftsunterkünften vor dem Amt in der Werinherstraße Schlange stehen. Hunderte warteten dort teils, manche blieben über Nacht. Es sah aus, als lagerten sie dort.

Berichte über die Zustände in München haben auch den Antiziganismusbeauftragten der Bundesregierung, Mehmet Daimagüler, erreicht. Am Dienstag kam er nach Bayern, besuchte eine ehemalige Militärkaserne bei Ingolstadt, in die offenbar Familien aus der Messehalle verlegt wurden. Er nimmt sich Zeit, fragt nach. Als Erstes trifft er auf eine 29-jährige Roma-Mutter von vier Kindern, die berichtet, gar keine Diskriminierung erlebt zu haben.

Ihre Kinder wüssten sich zu benehmen, erklärt sie. Eine andere hat hier ihr Baby bekommen, sie klagt vor allem über das Essen. In der weitläufigen und derzeit kaum belegten Anlage entschärfen sich offensichtlich manche Konflikte.

In München kommen nun insgesamt viel weniger Flüchtlinge an - und die Lage entspannt sich. 300 Menschen wohnten zuletzt in der Unterkunft in der Münchner Messehalle. Wo sie sich nach der Schließung hinbegaben, ob es ihnen gut geht, weiß niemand.

Wer historische Verantwortung ernst meint, müsse versuchen, an den armen Familien enger dranzubleiben, glaubt Roman Herzberg vom Verein Mingru Jipen. Für Berlin wünscht er sich eigene Registrierungsstellen nur für Roma. Und er wünscht sich, dass man um sie kämpft, wie er um seinen Mitarbeiter Alexander Lakatosh.

Auch der war in Berlin schwer vermittelbar. In einer privaten Wohnung gab es Knatsch mit den Gastgebern. Er störte sich an der Freizügigkeit der Berliner, die morgens auch mal ohne Hose durch die Wohnung liefen, so erzählt er es. In einem Hotel wollte man ihn auch nicht haben, zu laut, zu viel Streit mit der Ehefrau, vermutet Herzberg. Das Paar ist traumatisiert. Auf der Flucht wurde ihr Sohn, der an Autismus leidet, von der Familie getrennt. Sie haben ihn noch nicht wiedergefunden. Es geht ihnen jetzt trotzdem besser: Sie sind in einem eigenen kleinen Apartment untergekommen und angekommen. Ein langer Weg ist das. Für sie und auch für Berlin.

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