Süddeutsche Zeitung

Bildung:Willkommen heißen, aber wie?

Die Kultusminister wollen ukrainische Kinder und Jugendliche möglichst schnell in deutsche Schulen integrieren. Aber manche halten es für besser, sie nach ukrainischem System zu unterrichten.

Von Kathrin Müller-Lancé

Mit Übersetzungs-Apps und Sprach-Bild-Karten verständigen sich die drei ukrainischen Schüler, die seit dieser Woche die Berliner Wilhelm-von-Humboldt-Gemeinschaftsschule besuchen. Das klappe eigentlich gut, sagt Schulleiterin Judith Bauch. Die Kinder, neun, zehn und elf Jahre alt, lernen jeden Tag zwei Stunden Deutsch, sonst werden sie in den regulären Unterricht integriert. Wahrscheinlich kommen bald noch mehr Kinder aus der Ukraine hinzu.

Bildungspolitiker schätzen, dass mindestens ein Drittel der bisher etwa 240 000 ukrainischen Geflüchteten in Deutschland Kinder und Jugendliche sind, die früher oder später in Schulen oder Kitas unterkommen müssen. Verlässliche Zahlen gibt es dazu bislang nicht. Trotzdem drängt die Frage: Wie geht es weiter mit den ukrainischen Schülerinnen und Schülern, wenn sie in Deutschland angekommen sind?

Es scheint auf diese Frage zwei Arten von Antworten zu geben: Entweder man lässt die jungen Menschen möglichst in Ruhe das weiterverfolgen, was sie bisher gelernt haben - durch ukrainische Lehrbücher oder Online-Unterricht mit ukrainischen Lehrerinnen und Lehrern, Stichwort: Anschlussfähigkeit. Oder man bringt ihnen möglichst schnell Deutsch bei und führt sie ans deutsche Bildungssystem heran, Stichwort: Integration.

Bislang scheint die deutsche Politik in die zweite Richtung zu tendieren. Die Kultusministerinnen und -minister der Länder haben eine Taskforce gegründet, die den geflüchteten Schülern und Lehrkräften möglichst schnell helfen soll. Sie soll zum Beispiel klären, ob ukrainische Lehrer in deutschen Schulen eingesetzt werden können und inwiefern digitales ukrainisches Lehrmaterial in den Unterricht integriert werden kann. In der vergangenen Woche hat die Taskforce zum ersten Mal getagt.

Die Geschichte der Ukraine fehlt in deutschen Lehrplänen

In vielen Ländern sind inzwischen die Willkommensklassen wieder im Gespräch, die 2015 für Geflüchtete eingerichtet wurden. Auch Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) hat solche Klassen für ukrainische Schülerinnen und Schüler angeregt. Sie zielen darauf ab, Geflüchteten möglichst schnell Deutsch beizubringen, um sie dann in die Regelklassen zu integrieren. In Berlin wurden nach Angaben der Senatsverwaltung für Bildung bereits 50 Willkommensklassen an öffentlichen allgemeinbildenden Schulen eingerichtet. In Bayern gibt es seit Kurzem "pädagogische Willkommensgruppen" für ukrainische Geflüchtete, in Schleswig-Holstein wird in eigenen Klassen Deutsch als Zweitsprache unterrichtet.

Die aktuelle Situation ist allerdings anders als 2015: Niemand weiß, wie lange die ukrainischen Geflüchteten in Deutschland bleiben werden. Die ukrainische Generalkonsulin Iryna Tybinka sprach sich bei einem Auftritt vor der KMK gegen "Integrationsklassen" aus und plädierte für Unterricht nach ukrainischen Lehrplänen. Die Schülerinnen und Schüler hielten sich in Deutschland nur vorübergehend auf, deshalb sei es wichtig, auf eine Kontinuität der Bildungsprozesse zu achten und die nationale Identität der ukrainischen Kinder aufrechtzuerhalten. Die Geschichte der Ukraine fehle in den deutschen Lehrplänen praktisch gänzlich.

"Ich kann den Wunsch nachvollziehen, dass das alles schnell vorbei ist. Aber die Kinder müssen jetzt auch hier ankommen", sagt die Berliner Schulleiterin Judith Bauch. Trotzdem versucht sie sich gerade dafür einzusetzen, dass eine der Mütter ihrer Schüler, eine Ukrainisch-Lehrerin, die Kinder zusätzlich in ihrer Muttersprache unterrichten kann.

"Es darf da nicht um ein Entweder-oder gehen", sagt auch der Präsident des Deutschen Lehrerverbandes Heinz-Peter Meidinger. Er plädiert für ein offenes Konzept, das Deutschunterricht und digitale ukrainische Lernmaterialien verbindet. Auch angesichts des Lehrermangels, der die Schulen schon vorher belastet habe, müsse man jetzt pragmatische Lösungen finden: Um eine Vermittlerrolle einzunehmen, könnte man auch Erwachsene ohne pädagogische Ausbildung einstellen. Auf ukrainische Lehrerinnen und Lehrer als Lückenfüller sollte man laut Meidinger nicht zu früh hoffen: "Ich bin skeptisch, ob die so schnell an den Schulen verfügbar sind. Vielleicht für ein paar Stunden die Woche, aber sicher nicht für 20."

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