In Deutschland hat eine breite Debatte über mögliche Fehler der Bundesregierung bei der Koordinierung und Verteilung der aus der Ukraine geflüchteten Menschen eingesetzt. Die Bereitschaft von Privatleuten und Ehrenamtlichen, für die Kriegsflüchtlinge Suppe zu kochen, Transporte zu organisieren oder erschöpften Ukrainern für ein paar Tage ein Bett anzubieten, ist zwar weiterhin groß. Doch in der dritten Kriegswoche sind Helfer überfordert.
Es mehren sich die Klagen über bürokratische Hürden und einen Mangel an Weitblick durch den Bund. Im Fokus steht dabei Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD), die anfangs noch glaubte, eine staatlich organisierte, reglementierte Verteilung der nicht bei Verwandten untergebrachten Ukraine-Flüchtlinge sei nicht notwendig. Inzwischen ist sie umgeschwenkt.
Die Kriegsflüchtlinge sollen jetzt nach dem gleichen Schlüssel auf die Bundesländer verteilt werden, der auch für Asylbewerber gilt. Faesers Ministerium teilt mit, gemeinsam mit dem Bundesverkehrsministerium biete man inzwischen Busse ab Berlin und Frankfurt/Oder an, die Bundespolizei unterstütze, das THW kümmere sich - unter anderem um den Transport von Feldbetten und Sanitätseinrichtungen.
Ein Sprecher des Bundesinnenministeriums quittiert kritische Fragen von Journalisten am Montag mit dem Satz: "Den Ansturm an ukrainischen Flüchtlingen, den wir in den letzten Tagen erlebt haben, mit dem hatte man so nicht rechnen können." Er wirbt um Verständnis: "Diese Situation ist eine Ausnahmesituation, und die betrifft uns alle." Der stellvertretende Regierungssprecher, Wolfgang Büchner, pflichtete ihm bei: "Es ist selbstverständlich, dass so etwas ein paar Tage dauert."
Registrieren ist schwierig: Ukrainer dürfen zunächst ohne Visum hier sein
Auch SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert sprang Faeser zur Seite und wandte sich gegen die Vorstellung, die Kriegsflüchtlinge könnten gleichmäßig in Deutschland verteilt werden. "Wir dürfen uns nicht der Illusion hingeben, dass eine wirklich gleichteilige Verteilung über alle Regionen (...) gelingen wird",
Von den Grünen kommt jetzt der Vorschlag eines Flüchtlingsgipfels im Kanzleramt. Marcel Emmerich, Obmann der Grünen im Innenausschuss des Bundestages, sagt: "Momentan konzentriert sich die Aufnahme der Geflüchteten sehr auf die Großstädte, die dadurch großer Belastung ausgesetzt sind." Es sei nötig, die Verteilung "verstärkt zu koordinieren".
Der stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende Konstantin Kuhle sagt, "so gut und richtig eine unbürokratische Aufnahme der Menschen aus der Ukraine ist, so sehr muss man sich nun um eine zügige Registrierung der Vertriebenen kümmern". Ein schneller Zugang zum Arbeitsmarkt oder ein zügiger Schulbesuch seien sonst nicht möglich. Eine rasche Registrierung stelle zudem sicher, "dass die Behörden den Überblick über die Fluchtbewegung nach Deutschland behalten". Kuhle warnt: "Die Kommunen und das Ehrenamt dürfen nicht alleingelassen werden." Die Bundesinnenministerin müsse "endlich Führungsverantwortung für die Aufnahme der ukrainischen Flüchtlinge in Deutschland übernehmen", fordert Unionsfraktionsvize Andrea Lindholz (CSU). In Polen kontrollierten die Behörden beispielsweise, "wer flüchtende Frauen und Kinder abholt, in Deutschland findet eine solche systematische Registrierung bis heute nicht statt".
Einfach ist die Aufgabe, alle Kriegsflüchtlinge in Deutschland zu registrieren, nicht. Denn Ukrainer dürfen sich zunächst ohne Visum für 90 Tage in Deutschland aufhalten. Diese Frist wurde, womöglich auch um Engpässen in der Verwaltung vorzubeugen, auf 180 Tage verlängert. Das heißt: Wer keine staatliche Hilfe in Anspruch nimmt, bleibt erst einmal unter dem Radar. Die Bundespolizei hat bisher in Deutschland 147 000 Kriegsflüchtlinge registriert. Da es keine festen Grenzkontrollen an den EU-Binnengrenzen gibt, werden aber nicht alle Ankommenden erfasst. Außerdem reisen manche Flüchtlinge von Deutschland aus in andere Staaten weiter.