Ukraine-HilfeOrbáns Hebel der Macht

Lesezeit: 4 Min.

Verhinderer: Ungarns Premier Viktor Orbán – hier am Mittwoch im Europaparlament – lässt seine Zustimmung zu weiteren Sanktionen gegen Russland offen.
Verhinderer: Ungarns Premier Viktor Orbán – hier am Mittwoch im Europaparlament – lässt seine Zustimmung zu weiteren Sanktionen gegen Russland offen. (Foto: Philipp von Ditfurth/dpa)

Die EU und die G 7 wollen die Ukraine mit einem Kredit über 50 Milliarden Dollar stützen. Das Problem: Die Entscheidung darüber fällt nicht in Brüssel oder Washington – sondern in Budapest.

Von Claus Hulverscheidt, Hubert Wetzel, Berlin/Brüssel

Ursula von der Leyen sprach wohl vielen aus der Seele, als sie Mitte dieser Woche im Straßburger Europaparlament die ganz große Keule hervorholte. Viktor Orbán, so zürnte die EU-Kommissionschefin sinngemäß, halte sich nicht an Absprachen, hintertreibe mühsam ausgehandelte Kompromisse und spiele durch sein Verhalten immer wieder den Autokraten in Moskau und Peking in die Hände. Der ungarische Ministerpräsident war sichtlich konsterniert – und dennoch könnte sich von der Leyens Attacke als Eigentor erweisen: Gemeinsam mit der Gruppe der sieben führenden Industrienationen (G 7) nämlich arbeitet die EU seit Monaten an einem Kreditpaket, das der vom russischen Angriffskrieg gebeutelten Ukraine 50 Milliarden Dollar in die Kasse spülen soll. Ob das Programm jedoch in vollem Umfang zustande kommt, entscheidet de facto ein Einziger: Viktor Orbán.

Wie aber kann es sein, dass ein solches Projekt vom guten Willen eines einzelnen EU-Regierungschefs abhängt? Schon seit Langem suchen die G-7-Mitglieder Deutschland, Frankreich, Italien, Großbritannien, Japan, Kanada und USA nach einem Weg, die Finanzierung der Ukraine auch dann fürs Erste zu sichern, sollte der Russland-Freund Donald Trump 2025 ins Weiße Haus zurückkehren. Dabei helfen sollen die 260 Milliarden Euro an Geldreserven, die die russische Notenbank im Ausland geparkt hat. Etwa 200 Milliarden davon liegen in der EU. Nach dem Angriff auf die Ukraine wurden die Konten eingefroren, Moskau kann seither nicht mehr darauf zugreifen. Dennoch wirft das Geld Jahr für Jahr Zinserträge zwischen drei und vier Milliarden Euro ab.

Die Idee: Die G-7-Staaten gewähren der Ukraine einen Kredit über 50 Milliarden Dollar oder umgerechnet rund 46 Milliarden Euro, Zins und Tilgung jedoch werden aus eben jenen russischen Kapitalerträgen bezahlt. Lose vereinbart war, dass die USA und die EU jeweils 20 Milliarden Dollar bereitstellen, die übrigen G-7-Mitglieder insgesamt zehn Milliarden. Stand jetzt soll die endgültige Einigung beim Treffen der G-7-Finanzminister Ende des Monats in Washington verkündet werden.

Lindner müsste ohne Kredit viel mehr Geld im Haushalt einplanen

Auch der deutsche Kassenwart Christian Lindner gehört nach langem Zögern zu den Verfechtern des Vorschlags, denn ohne Kredit müsste er die Ukraine-Hilfen im ohnehin löchrigen Entwurf des Bundeshaushalts für 2025 massiv aufstocken. Es gibt jedoch ein Problem: US-Präsident Joe Biden kann seinen Beitrag nur dann ohne Rücksprache mit dem Kongress zusagen, wenn er fest mit einer fristgerechten Rückzahlung des Darlehens rechnen kann. Andernfalls müsste er die Zustimmung des teils republikanisch dominierten Parlaments einholen, das ihm diesen Gefallen so kurz vor der Wahl sicher nicht täte.

Eine termingerechte Rückzahlung ist aber nur dann gesichert, wenn die westlichen Sanktionen gegen Moskau dauerhaft in Kraft und die russischen Vermögenswerte eingefroren bleiben. Genau das jedoch müssen die EU-Staaten alle sechs Monate neu beschließen – und zwar einstimmig. Und hier kommt Viktor Orbán ins Spiel: Er verweigert ein Bekenntnis zur Fortsetzung der Sanktionen und lehnt zugleich eine Abschaffung der Sechs-Monats-Regel oder zumindest eine Fristverlängerung auf 36 Monate ab, wie sie die Amerikaner zuletzt als Kompromiss ins Spiel gebracht hatten.

Damit bestünde jedes halbe Jahr aufs Neue die Gefahr, dass die in Europa eingefrorenen Gelder gewissermaßen aufgetaut und von Moskau abgezogen würden. Die Kreditkosten blieben dann an Washington, Brüssel und letztlich den nationalen Haushalten der EU-Staaten hängen. Diesem Risiko will sich Biden nicht aussetzen. Orbán wiederum verkündete, er werde sich erst nach der US-Präsidentschaftswahl in knapp vier Wochen festlegen. Diplomaten vermuten, dass er auf einen Sieg Trumps setzt, der dann die gesamte Ukraine-Hilfe zusammenstreicht.

Um zu verhindern, dass das Kreditprojekt vollständig platzt, brachte von der Leyen bei einem Besuch in Kiew jüngst die Variante ins Spiel, dass die Europäische Union der Ukraine ein Darlehen von bis zu 35 Milliarden Euro gewährt und damit den Anteil der USA praktisch übernimmt. Dieser Idee stimmten die Botschafter der 27 EU-Mitgliedsländer am Mittwochabend in Brüssel zu – dem Vernehmen nach fast einhellig: Nur Malta enthielt sich. Ungarn hingegen, im Kreise der Europäer bekanntlich der größte Verhinderer und Verzögerer, wenn es um finanzielle und militärische Hilfe für Kiew geht, votierte mit Ja.

Von der Leyens Vorpreschen stößt nicht auf Begeisterung

Um das Geld aufzubringen, will die EU-Kommission die bereits laufende sogenannte Makrofinanzhilfe für die Ukraine aufstocken. Makrofinanzhilfen sind ein Instrument, das Brüssel einsetzen kann, um enge Partnerländer in Notfällen zu unterstützen. Anders als in der Regel üblich darf die Kommission dafür selbst Kredite aufnehmen. Bereits 2023 hatte die Ukraine auf diesem Weg insgesamt 18 Milliarden Euro erhalten. Sie trugen dazu bei, dass etwa Löhne und Renten ausbezahlt und Krankenhäuser sowie Schulen weiterbetrieben werden konnten. Bei einer solchen Konstruktion hätte Ungarn keine Veto-Möglichkeit, es reichte vielmehr eine sogenannte qualifizierte Mehrheit, um das Programm zu beschließen. Voraussetzung ist allerdings, dass die endgültige Entscheidung noch in diesem Jahr fällt.

Das alles ändert allerdings nichts daran, dass der 35-Milliarden-Kredit nur eine Notlösung wäre. In manchen EU-Hauptstädten ist man über von der Leyens Vorpreschen entsprechend wenig begeistert, denn Washington steht nun weit weniger unter Druck, sich zu beteiligen. Beim Treffen der EU-Staats- und Regierungschefs kommende Woche in Brüssel soll Orbán deshalb noch einmal bearbeitet werden. Auch Finanzminister Mihály Varga dürfte am Rande der Jahrestagung von Internationalem Währungsfonds (IWF) und Weltbank übernächste Woche in Washington von Lindner & Co. noch einmal in die Mangel genommen werden.

Sollten die Ungarn die Blockade doch noch aufgeben und so ermöglichen, dass die USA wie geplant mit 20 Milliarden Dollar ins Boot kommen, könnte der EU-Anteil entsprechend geringer ausfallen, heißt es in Brüssel. Bleibt Orbán hingegen bei seinem Nein zu einer Änderung der Sechs-Monate-Regel, dürfte nach Ansicht eines ranghohen EU-Diplomaten der amerikanische Anteil – sofern er überhaupt zustande kommt – deutlich geringer ausfallen, im Raum stehen etwa fünf Milliarden Dollar. Die US-Regierung habe klar gesagt, dass sie nur dann die vollen 20 Milliarden Dollar beisteuern werde, wenn es eine Garantie gebe, dass das russische Vermögen mindestens drei Jahre eingefroren bleibe, sagt der Diplomat.

Für den Fall, dass eine Einigung mit Washington gelingt, soll Kiew die US-Hilfe über einen Treuhandfonds der Weltbank erhalten, deren Zentrale keine 600 Meter vom Weißen Haus entfernt in Washington liegt. Die technischen Vorarbeiten dafür laufen längst. Die Entscheidung aber fällt womöglich nicht in der US-Hauptstadt, sondern 7300 Kilometer weiter östlich: in Budapest.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Europäische Union
:Von der Leyen greift Orbán frontal an

Im EU-Parlament in Straßburg trifft der ungarische Regierungschef auf seine ärgsten Gegner. Die Kommissionspräsidentin wirft ihm vor, die europäische Einigkeit zu untergraben.

SZ PlusVon Jan Diesteldorf

Lesen Sie mehr zum Thema

  • Medizin, Gesundheit & Soziales
  • Tech. Entwicklung & Konstruktion
  • Consulting & Beratung
  • Marketing, PR & Werbung
  • Fahrzeugbau & Zulieferer
  • IT/TK Softwareentwicklung
  • Tech. Management & Projektplanung
  • Vertrieb, Verkauf & Handel
  • Forschung & Entwicklung
Jetzt entdecken

Gutscheine: